Homotopie und Abbildungsgrad
Bemerkung: Im Folgenden sollen Methoden entwickelt werden, mit denen gezeigt werden können, dass \(\real ^2 \not \cong \real ^3\). Im Allgemeinen gilt sogar \(\real ^n \not \cong \real ^m\) für \(n \not = m\).
Homotope Abbildungen
Homotopie: Seien \(X\) und \(Y\) topologische Räume.
Eine Homotopie ist eine stetige Abbildung \(H\colon [0, 1] \times X \rightarrow Y\).
Für \(t \in [0, 1]\) definiert man die stetige Abbildung \(H_t\colon X \rightarrow Y\), \(H_t(x) = H(t, x)\).
homotop: Zwei stetige Abbildungen \(f, g\colon X \rightarrow Y\) heißen homotop in \(Y\) (\(f \simeq g\)), falls es eine Homotopie \(H\colon [0, 1]
\times X \rightarrow Y\) mit \(H_0 = f\) und \(H_1 = g\) gibt.
Eine stetige Abbildung \(f\colon X \rightarrow Y\) heißt nullhomotop/zusammenziehbar (\(f \simeq \ast \)), falls \(f\) zu
einer konstanten Abbildung \(\const _X^\ast \colon X \rightarrow \{\ast \}\) mit \(\ast \in Y\) homotop ist.
Der Raum \(X\) heißt zusammenziehbar (\(X \simeq \ast \)), falls \(\id _X \simeq \ast \).
Beispiel: Sei \(X \subset \real ^n\) sternförmig bzgl. \(a \in \real ^n\), z. B. \(X = \real ^n\) und \(a = 0\).
Dann ist \(X\) zusammenziehbar durch \(H(t, x) = (1 - t)x + ta\).
Jede stetige Abbildung \(f\colon X \rightarrow Y\) ist nullhomotop durch \(H(t, x) = f((1 - t)x + ta)\).
Jede stetige Abbildung \(f\colon Y \rightarrow X\) ist nullhomotop durch \(H(t, y) = (1 - t)f(y) + ta\).
Satz (homotope Abbildungen auf Einheitssphäre): Seien \(X\) ein topologischer Raum und
\(f, g\colon X \rightarrow \sphere ^n\) stetige Abbildungen, die nirgends antipodal sind, d. h. \(\forall _{x \in X}\; f(x) \not = -g(x)\).
Dann gilt \(f \simeq g\).
Bemerkung: Man kann jede Homotopie \(H\colon [0, 1] \times X \rightarrow Y\) als einen Weg \(h\colon [0, 1] \rightarrow \C (X, Y)\) mit \((h(t))(x) := H(t, x)\) betrachten. Ist \(H\) stetig, dann ist
auch \(h\) stetig.
Ist \(h\) stetig und \(X\) lokal-kompakt, dann ist auch \(H\) stetig.
Satz (Homotopie als Äquivalenzrelation): Homotopie ist eine Äquivalenzrelation auf \(\C (X, Y)\).
Homotopieklassen: Seien \(X\) und \(Y\) topologische Räume. Der Quotientenraum der
Homotopieklassen (Äquivalenzklassen bzgl. der Homotopie) heißt \([X, Y] := \C (X, Y) /\! \simeq \).
Beispiel: Für \(X\) lokal-kompakt gilt \([X, Y] = \pi _0(\C (X, Y))\).
Für jeden topologischen Raum \(X\) gilt \([\{\ast \}, X] = \pi _0(X)\).
Satz (Homotopie bei Kompositionen): Seien \(f_0, f_1\colon X \rightarrow Y\) und \(g_0, g_1\colon Y \rightarrow Z\) stetige Abbildungen. Gilt \(f_0 \simeq f_1\) und \(g_0 \simeq g_1\), dann gilt auch \(g_0 \circ f_0 \simeq g_1 \circ f_1\).
Kategorie \(\cat {hTop}\): Man kann eine Kategorie \(\cat {hTop}\) definieren. Die Objekte sind die topologischen Räume, die Morphismen \([X, Y]\) sind die Homotopieklassen \([f]\) stetiger Abbildungen \(f\colon X \rightarrow Y\) und die Komposition ist \([g] \circ [f] := [g \circ f]\) (wohldefiniert nach obigem Satz).
homotopie-äquivalent: \(X\) und \(Y\) heißen homotopie-äquivalent (\(X \simeq Y\)), falls es stetige Abbildungen \(f\colon X \rightarrow Y\) und \(g\colon Y \rightarrow X\) gibt mit \(g \circ f \simeq \id _X\) und \(f \circ g \simeq \id _Y\).
Bemerkung: So wie Homöomorphie die Isomorphie in \(\cat {Top}\) ist, so ist Homotopie-Äquivalenz die Isomorphie in \(\cat {hTop}\) (insbesondere ist Homotopie-Äquivalenz eine Äquivalenzrelation).
Beispiel: Aus \(X \cong Y\) folgt \(X \simeq Y\), die Umkehrung gilt nicht:
Zum Beispiel sind \(\real \) und \(\real ^2\) nicht homöomorph, aber homotopie-äquivalent.
Ein Raum \(X\) ist zusammenziehbar genau dann, wenn \(X\) zu \(\{\ast \}\) homotopie-äquivalent ist.
Satz (\(\sphere ^n \simeq \real ^{n+1} \setminus \{0\}\)): \(\sphere ^n\) und \(\real ^{n+1} \setminus \{0\}\) sind homotopie-äquivalent.
Satz (Funktoren durch Homotopieklassen): Seien \(X, Y, Z\) topologische Räume.
Jede stetige Abbildung \(f\colon X \rightarrow Y\) induziert \(f_\ast \colon [Z, X] \rightarrow [Z, Y]\), \(f_\ast ([h]) := [f \circ h]\).
Dies definiert einen kovarianten Funktor \([Z, -]\colon \cat {Top} \rightarrow \cat {Set}\).Jede stetige Abbildung \(f\colon Y \rightarrow X\) induziert \(f^\ast \colon [Y, Z] \rightarrow [X, Z]\), \(f^\ast ([h]) := [h \circ f]\).
Dies definiert einen kontravarianten Funktor \([-, Z]\colon \cat {Top} \rightarrow \cat {Set}\).Aus \(f \simeq g\) folgt \(f_\ast = g_\ast \) und \(f^\ast = g^\ast \).
Retraktion: Seien \(X\) ein topologischer Raum und \(A \subset X\) eine Teilmenge.
Eine Retraktion von \(X\) auf \(A \subset X\) ist eine stetige Abbildung \(r\colon X \rightarrow A\) mit \(r|_A = \id _A\).
\(A \subset X\) heißt Retrakt von \(X\), falls es eine Retraktion von \(X\) auf \(A\) gibt.
Deformationsretraktion: Eine Deformationsretraktion von \(X\) auf \(A \subset X\) ist eine Homotopie \(H\colon [0, 1] \times X \rightarrow X\) mit
\(H_0 = \id _X\) und \(H_1\) eine Retraktion von \(X\) auf \(A\).
\(A \subset X\) heißt Deformationsretrakt von \(X\), falls es eine Deformationsretraktion von \(X\) auf \(A\) gibt.
starke Deformationsretraktion: Eine starke Deformationsretraktion von \(X\) auf \(A \subset X\) ist eine Deformationsretraktion \(H\) mit \(H_t|_A = \id
_A\) für alle \(t \in [0, 1]\).
\(A \subset X\) heißt starker Deformationsretrakt von \(X\), falls es eine starke Deformationsretraktion von \(X\) auf \(A\) gibt.
Beispiel: \(\sphere ^n \subset \real ^{n+1} \setminus \{0\}\) ist ein starker Def.retrakt.
Für \(a \in X\) ist \(\{a\} \subset X\) ein Retrakt, und ein Def.retrakt genau dann, wenn \(X\) zusz.bar ist.
Ist \(X\) nicht wegzsh. (z. B. \(X = \real \setminus \{0\}\)), dann ist \(\{a\} \subset X\) ein Retrakt, aber kein Def.retrakt.
Es gibt keine Retraktion \([0, 1] \rightarrow \{0, 1\}\).
Der Abbildungsgrad
Bemerkung:
Für \(k \in \integer \) kann man \(\varphi _k\colon \sphere ^1 \rightarrow \sphere ^1\), \(z \mapsto z^k\) definieren, also \(\varphi _k(\cos (t), \sin (t)) := (\cos (kt), \sin (kt))\).
Anschaulich gesagt wickelt diese Abbildung die Kreislinie \(k\)-mal um den Nullpunkt.
Dabei ist \(\varphi _0\) konstant, \(\varphi _1\) die Identität und \(\varphi _{-1}\) die Spiegelung an der \(x\)-Achse.
Allgemeiner ist \(\phi _k\colon \real ^{n+1} \rightarrow \real ^{n+1}\) definiert durch
\(\phi _k(r \cos (t), r \sin (t), x_3, \dotsc , x_{n+1}) := (r \cos (kt), r \sin (kt), x_3, \dotsc , x_{n+1})\).
Es gilt \(|\phi _k(x)| = |x|\), d. h. man erhält die Einschränkung \(\varphi _k := \phi _k|_{\sphere ^n}\colon \sphere ^n \rightarrow \sphere ^n\).
Satz (Brouwer-Hopf): Für \(k \in \integer \) ist die Abbildung \(\integer \rightarrow [\sphere ^n, \sphere ^n]\), \(k \mapsto [\varphi _k]\) eine Bijektion, d. h. jede stetige Abbildung \(f\colon \sphere ^n \rightarrow \sphere ^n\) ist zu genau einer Abbildung \(\varphi _k\) homotop.
Umlaufzahl:
Die Umkehrabbildung ist der Abbildungsgrad/die Umlaufzahl \(\deg \colon [\sphere ^n, \sphere ^n] \bij \integer \),
\([\varphi _k] \mapsto k\).
Folgerung: Der Abbildungsgrad ist multiplikativ, d. h. \(\deg (f \circ g) = \deg (f) \cdot \deg (g)\).
Folgerung: \(\sphere ^n\) ist nicht zusammenziehbar (\(\sphere ^n \not \simeq \{\ast \}\)).
Folgerung: \(\sphere ^n \subset \dball ^{n+1}\) ist kein Retrakt.
Bemerkung: \(\sphere ^n \subset \dball ^{n+1} \setminus \{0\}\) ist ein Retrakt.
Satz (Brouwerscher Fixpunktsatz):
Jede stetige Abbildung \(f\colon \dball ^n \rightarrow \dball ^n\) besitzt mindestens einen Fixpunkt, d. h. \(\exists _{a \in \dball ^n}\; f(a) = a\).
tangentiales Vektorfeld: Ein tangentiales Vektorfeld auf \(\sphere ^n\) ist eine stetige Abbildung \(v\colon \sphere ^n \rightarrow \real ^{n+1}\) mit \(\innerproduct {v(x), x} = 0\) für alle \(x \in \sphere ^n\).
Beispiel: Sei \(n = 2m - 1\), \(m \in \natural \) ungerade. Dann ist \(v(x_1, x_2, \dots , x_{2m-1}, x_{2m}) =\)
\((x_2, -x_1, \dotsc , x_{2m}, -x_{2m-1})\) ein tangentiales Vektorfeld auf \(\sphere ^{2m-1}\), das nirgends verschwindet.
Bemerkung: Sind solche Vektorfelder auch für \(n = 2m\) möglich?
Satz (Satz vom gekämmten Igel):
Jedes tangentiale Vektorfeld \(v\colon \sphere ^{2m} \rightarrow \real ^{2m+1}\) besitzt mindestens eine Nullstelle.
Lemma (Grad linearer Abbildungen): Für \(A \in \GL _{n+1}(\real )\) besitzt \(f_A\colon \sphere ^n \rightarrow \sphere ^n\), \(x \mapsto \frac {Ax}{\norm {Ax}}\) den Abbildungsgrad \(\deg (f_A) = \sign (\det A) \in \{\pm 1\}\).
Satz (stetige Abbildungen von \(\sphere ^m\) nach \(\sphere ^n\) mit \(m < n\) sind nullhomotop):
Für \(m < n\) ist jede stetige Abbildung \(f\colon \sphere ^m \rightarrow \sphere ^n\) nullhomotop.
Folgerung: Für \(m \not = n\) ist \(\sphere ^m \not \simeq \sphere ^n\), d. h. insbesondere \(\sphere ^m \not \cong \sphere ^n\).
Folgerung: Für \(m \not = n\) ist \(\real ^m \not \cong \real ^n\).
Satz (Invarianz der Dimension): Seien \(U \subset \real ^m\) offen, \(V \subset \real ^n\) offen und \(U, V \not = \emptyset \).
Gilt \(U \cong V\), so ist \(m = n\).
Lemma (Umgebungen der \(0\)): Ist \(V \subset \real ^n\) eine Umgebung der \(0\) mit \(V \cong \dball ^m\), so gilt \(n = m\).
Simpliziale Komplexe
Simpliziale Komplexe
Standard-Simplex: \(\Delta ^n := \{(t_0, \dotsc , t_n) \in \real ^{n+1} \;|\; t_0, \dotsc , t_n \ge 0,\; t_0 + \dotsb + t_n = 1\}\) heißt Standard-Simplex der Dimension \(n\) (\(n \in \natural \)).
Bemerkung: \(\Delta ^n\) ist die konvexe Hülle von \(e_0, \dotsc , e_n \in \real ^{n+1}\), wobei \((e_0, \dotsc , e_n)\) die kanonische Basis des \(\real ^{n+1}\) ist, d. h. \(\Delta ^0\) ist ein Punkt, \(\Delta ^1\) eine Strecke, \(\Delta ^2\) ein Dreieck, \(\Delta ^3\) ein Tetraeder usw. Da \(\Delta ^n\) kompakt und sternförmig bzgl. der \(\varepsilon \)-Umgebung einer ihrer Punkte ist, gilt \(\Delta ^n \cong \dball ^n\).
affin unabhängig: Sei \(V\) ein \(\real \)-Vektorraum. Eine Familie \((v_0, v_1, \dotsc , v_n)\) in \(V\) heißt affin unabhängig, falls \(v_1 - v_0, \dotsc , v_n - v_0\) linear unabhängig sind.
Simplex: Seien \(V\) ein \(\real \)-Vektorraum und \((v_0, v_1, \dotsc , v_n)\) affin unabhängig.
\(\Delta = [v_0, v_1, \dotsc , v_n] := \{t_0 v_0 + t_1 v_1 + \dotsb + t_n v_n \;|\; t \in \Delta ^n\}\) heißt der von \((v_0, v_1, \dotsc , v_n)\) aufgespannte affine \(n\)-Simplex. Die Punkte \(v_0, v_1, \dotsc , v_n\) heißen Ecken des Simplex \(\Delta \).
Für die kanonische Basisvektoren vom \(\real ^{n+1}\) gilt \(\Delta ^n = [e_0, e_1, \dotsc , e_n]\).
baryzentrische Koordinaten: Für jeden Punkt \(x = t_0 v_0 + t_1 v_1 + \dotsb + t_n v_n\) heißen die Koordinaten \((t_0, t_1, \dotsc , t_n)\) baryzentrische Koordinaten von \(x\) bzgl. \((v_0, v_1, \dotsc , v_n)\).
Die Abbildung \(h\colon \Delta ^n \rightarrow \Delta \), \(t \mapsto \sum _{i=0}^n t_i v_i\) ist eine Bijektion,
d. h. die Koordinaten sind eindeutig.
Satz (Ecken, Dim. eindeutig): \(v\colon [v_0, v_1, \dotsc , v_n] \mapsto \{v_0, v_1, \dotsc , v_n\}\), \(\dim \colon [v_0, v_1, \dotsc , v_n] \mapsto n\) sind wohldefinierte Zuordnungen auf der Menge aller affinen Simplizes in einem Vektoraum \(V\), d. h. jeder affine Simplex \(\Delta = [v_0, v_1, \dotsc , v_n]\) in \(V\) bestimmt eindeutig seine Eckenmenge.
Seite: Sei \(\Delta = [v_0, v_1, \dotsc , v_n]\) ein \(n\)-Simplex. Für jede nicht-leere Teilmenge
\(F \subset \{v_0, v_1, \dotsc , v_n\}\) mit \(d + 1\) Elementen heißt der \(d\)-Simplex \([F]\) Seite von \(\Delta \) der Dimension \(d\) und der Kodimension \(n - d\). Eine Seite der Kodimension \(\ge 1\) heißt echt.
Rand, Inneres: Der Rand eines Simplex \(\Delta \) ist die Vereinigung all seiner echten Seiten, d. h. \(\partial \Delta := \bigcup _{\emptyset \not = F \subsetneqq \{v_0, v_1, \dotsc , v_n\}} [F]\). Das Innere ist \(\Int \Delta := \Delta \setminus \partial \Delta \).
Bemerkung: Das Innere des Simplex \(\Delta = [v_0, v_1, \dotsc , v_n]\) besteht aus allen Punkten
\(x = t_0 v_0 + t_1 v_1 + \dotsb + t_n v_n\) mit \(t_0 + t_1 + \dotsb + t_n = 1\) sowie \(t_0, t_1, \dotsc , t_n > 0\). Der Rand besteht aus allen Punkten, für die mindestens eine baryzentrische
Koordinate \(t_k\) verschwindet.
affiner simplizialer Komplex: Sei \(V\) ein \(\real \)-Vektorraum. Ein (affiner) simplizialer Komplex in \(V\) ist eine Menge \(\K \) von Simplizes in \(V\), sodass
für alle Simplizes \(\Delta \in \K \) auch alle Seiten von \(\Delta \) ein Element von \(\K \) sind und
für alle Simplizes \(\Delta _1, \Delta _2\) mit Durchschnitt \(\Delta := \Delta _1 \cap \Delta _2 \not = \emptyset \) gilt, dass \(\Delta \) eine gemeinsame Seite ist (d. h. eine Seite sowohl von \(\Delta _1\) als auch \(\Delta _2\)).
Die Vereinigung \(|\K | := \bigcup _{\Delta \in \K } \Delta \) heißt Träger von \(\K \).
Die (affine) Dimension von \(\K \) ist \(\dim \K := \sup \{\dim \Delta \;|\; \Delta \in \K \}\).
Beispiel: Ist \(\Delta \) ein affiner \(n\)-Simplex, dann bildet die Menge \(\K \) aller Seiten von \(\Delta \) einen simplizialen Komplex der Dimension \(n\) mit Träger \(|\K | = \Delta \). Die Menge \(\L \) aller echten Seiten von \(\Delta \) bildet einen simplizialen Komplex der Dimension \(n - 1\) mit Träger \(|\L | = \partial \Delta \).
simpliziale Topologie: Sei \(\K \) ein simplizialer Komplex in \(V\). Jeder Simplex \(\Delta \in \K \) wird mit seiner euklidischen Topologie ausgestattet, sodass \(h\colon \Delta ^n \rightarrow \Delta \) ein Homöomorphismus ist. \(|\K |\) wird mit der finalen Topologie ausgestattet, d. h. \(U \subset |\K |\) ist offen in \(|\K |\) genau dann, wenn \(U \cap \Delta \) offen in \(\Delta \) ist für alle \(\Delta \in \K \). Dies heißt simpliziale Topologie auf \(|\K |\).
Bemerkung: Für \(\K \) (lokal-)endlich in einem topologischen Vektorraum \(V\) stimmen simpliziale Topologie und Teilraumtopologie überein.
Bemerkung: Ein affiner Simplex \(\Delta = [v_0, \dotsc , v_n]\) in einem Vektorraum \(V\) ist durch seine Eckenmenge \(v(\Delta ) = \{v_0, \dotsc , v_n\}\) festgelegt. Ein affiner simplizialer Komplex \(\K \) in \(V\) ist durch seine Simplizes \(\Delta \in \K \) festgelegt. Zu seiner Beschreibung reicht es also aus, die Familie \(K = v(\K ) := \{v(\Delta ) \;|\; \Delta \in \K \}\) aller Eckenmengen anzugeben.
kombinatorischer simplizialer Komplex:
Eine Familie \(K\) endlicher nicht-leerer Mengen heißt kombinatorischer simplizialer Komplex, falls für alle \(S \in K\) und \(\emptyset \not = S’ \subset S\) auch
\(S’ \in K\) gilt.
In diesem Fall heißt \(S = \{s_0, \dotsc , s_n\}\) kombinatorischer Simplex der Dimension \(\dim S := n\).
\(\Omega (K) := \bigcup _{S \in K} S\) heißt die Eckenmenge von \(K\), ihre Elemente heißen Ecken.
Darstellung:
Eine Darstellung von \(K\) in einem Vektorraum \(V\) ist eine Abbildung \(f\colon \Omega (K) \rightarrow V\), sodass
für alle \(S \in K\) das Bild \(f(S)\) affin unabhängig in \(V\) ist und
für alle \(S, T \in K\) gilt \([f(S)] \cap [f(T)] = [f(S \cap T)]\).
In diesem Fall ist \(\K = \{[f(S)] \;|\; S \in K\}\) ein affiner simplizialer Komplex in \(V\).
\(|K|_f := |\K |\) heißt die topologische Realisierung von \(K\) mittels \(f\).
Bemerkung: Diese Bedingungen gelten insbesondere dann, wenn die Vektoren \((f(s))_{s \in \Omega }\) linear unabhängig sind.
kanonische Realisierung:
Sei \(K\) ein kombinatorischer simplizialer Komplex mit Eckenmenge \(\Omega \). In der Menge \(\real ^{(\Omega )}\) aller Abbildungen \(g\colon \Omega \rightarrow \real \) mit endlichem Träger
(d. h. \(\supp (g) = \{x \in \Omega \;|\; g(x) \not = 0\}\) ist endlich) definiert man die kanonische Basis \((\delta _s)_{s \in \Omega }\) mit \(\delta
_s\colon \Omega \rightarrow \real \), \(\delta _s(t) := \delta _{st}\) (Kronecker-Delta).
Die Abbildung \(f\colon \Omega \rightarrow \real ^{(\Omega )}\), \(f(s) = \delta _s\) ist eine Darstellung von \(K\), die kanonische Darstellung.
Der so definierte Komplex \(\K := \{[f(S)] \;|\; S \in K\}\) heißt kanonischer affiner Komplex von \(K\).
Der Raum \(|K| := |\K |\) mit der simplizialen Topologie heißt kanonische Realisierung von \(K\).
Bemerkung: Eine andere Schreibweise ist \(|K| = \{x\colon \Omega \rightarrow [0, 1] \;|\; \supp (x) \in K,\; \sum _{s \in \Omega } x(s) = 1\}\).
Jedem kombinatorischen Simplex \(S \in K\) entspricht der affine Simplex
\(|S| = \{x \in |K| \;|\; \supp (x) \subset S\}\), d. h. \(\K = \{|S| \;|\; S \in K\}\).
Satz (jede Real. ist zur kanon. Real. homöomorph): Seien \(K\) ein kombinatorischer simplizialer Komplex mit Eckenmenge \(\Omega \) und
\(f\colon \Omega \rightarrow V\) eine Darstellung in einen Vektorraum \(V\).
Dann ist die Abbildung \(h\colon |K| \homoe |K|_f\), \(h(x) = \sum _{s \in \Omega } x(s) f(s)\) ein Homöomorphismus.
kombinatorische simpliziale Abbildung: Seien \(K\) und \(L\) kombinatorische simpliziale Komplexe. Eine kombinatorische simpliziale Abbildung \(f\colon K
\rightarrow L\) ist eine Abbildung
\(f\colon \Omega (K) \rightarrow \Omega (L)\) der Eckenmengen, sodass für jeden Simplex \(S \in K\) auch \(f(S) \in L\) gilt.
affine simpliziale Abbildung: Seien \(\K \) und \(\L \) affine simpliziale Komplexe. Eine affine simpliziale Abbildung \(g\colon \K \rightarrow \L \) ist eine Abbildung \(g\colon \Omega (\K ) \rightarrow \Omega (\L )\) der Eckenmengen, affin fortgesetzt auf jeden Simplex, sodass für jeden Simplex \(\Delta \in \K \) auch \(g(\Delta ) \in \L \) gilt.
Bemerkung: Seien \(\K \) und \(\L \) affine simpliziale Komplexe sowie \(K = v(\K )\) und \(L = v(\L )\) die zugehörigen kombinatorischen simplizialen Komplexe.
Jede kombinatorische simpliziale Abbildung \(f\colon K \rightarrow L\) definiert eine affine simpliziale Abbildung \(g\colon \K \rightarrow \L \) durch \(g(\sum _{s \in \Omega (K)} x(s) \cdot s) = \sum _{s \in
\Omega (K)} x(s) \cdot f(s)\).
Jede affine simpliziale Abbildung \(g\colon \K \rightarrow \L \) definiert eine kombinatorische simpliziale Abbildung \(f\colon K \rightarrow L\) durch Einschränkung auf die Eckenmengen.
kombinatorischer Teilkomplex: Sei \(K\) ein kombinatorischer simplizialer Komplex. Ein Teilkomplex von \(K\) ist eine Teilmenge \(L \subset K\), die selbst ein komb. simplizialer Komplex ist.
affiner Teilkomplex: Sei \(\K \) ein affiner simplizialer Komplex. Ein Teilkomplex von \(\K \) ist eine Teilmenge \(\L \subset \K \), die selbst ein affiner simplizialer Komplex ist.
\(n\)-Skelett: Sei \(K\) ein simplizialer Komplex. Für \(n \in \natural \) heißt \(K_{\le n} := \{S \in K \;|\; \dim S \le n\}\)
\(n\)-Skelett von \(K\) (Teilkomplex von \(K\) der Dimension \(\le n\)).
Triangulierung topologischer Räume
Triangulierung: Sei \(X\) ein topologischer Raum. Eine Triangulierung von \(X\) ist ein Paar \((K, h)\), wobei \(K\) ein simplizialer Komplex und \(h\colon |K|
\homoe X\) ein Homöomorphismus ist.
\(X\) heißt triangulierbar, falls es eine Triangulierung von \(X\) gibt.
Beispiel: Jede diskrete Menge \(X\) kann trianguliert werden durch \(K = \{\{x\} \;|\; x \in X\}\) (Komplex der Dimension \(0\)).
Komplexe der Dimension \(1\) heißen kombinatorische Graphen, dazu homöomorphe topologische Räume heißen topologische
Graphen.
Satz (\(\dball ^n\) und \(\sphere ^{n-1}\) triangulierbar): \(\dball ^n\) und \(\sphere ^{n-1}\) sind triangulierbar.
Bemerkung: Die top. Realisierung \(|K|\) jedes simplizialen Komples \(K\) ist lokal zusammenziehbar, d. h. topologische Räume, die nicht lokal zusammenziehbar sind, sind nicht triangulierbar.
Satz (Invarianz der Dimension):
Für simpliziale Komplexe \(K\) und \(L\) mit \(|K| \cong |L|\) gilt \(\dim K = \dim L\).
Dimension: Sei \(X\) ein durch \(|K| \cong X\) triangulierbarer topologischer Raum.
Dann heißt \(\dim X := \dim K\) seine (simpliziale) Dimension.
Beispiel: Es gilt \(\dim \dball ^n = n\) und \(\dim \sphere ^n = n\).
Simpliziale Approximation
simpliziale Metrik: Sei \(K\) ein kombinatorischer simplizialer Komplex mit Eckenmenge \(\Omega \). Auf der kanonischen Realisierung \(|K| \subset \real ^{(\Omega )}\) ist die simpliziale Metrik definiert durch
\(d(x, y) := \max \{|x(s) - y(s)| \;|\; s \in \Omega \}\).
Satz (Vergleich mit metrischer Topologie): Die metrische Topologie auf \(|K|\) ist gröber als die simpliziale Topologie. Ist \(K\) (lokal-)endlich, so stimmen beide Topologien überein.
Folgerung: Für jeden simplizialen Komplex \(K\) ist die Realisierung \(|K|\) hausdorffsch.
Stern: Seien \(K\) ein simplizialer Komplex und \(|K|\) seine kanonische Realisierung.
Für jede Ecke \(a \in \Omega \) ist \(\st (a) := \{x \in |K| \;|\; x(a) > 0\}\) der Stern um \(a\).
Bemerkung: Es gilt \(\st (a) = B(a, 1) = \bigcup _{S \in K,\; a \in S} (\Int |S|) = |K| \setminus \{|T| \;|\; T \in K,\; a \notin T\}\).
Satz (Stern offen und zusammenziehbar):
Für jede Ecke \(a \in \Omega \) und jeden Radius \(r\) mit \(0 < r \le 1\) ist \(B(a, r) = \{x \in |K| \;|\; x(a) > 1 - r\}\) eine zusammenziehbare offene Umgebung von \(a\) in \(|K|\),
d. h. insbesondere auch \(\st (a) = B(a, 1)\).
baryzentrische Unterteilung: Sei \(K\) ein kombinatorischer Simplex. Dann heißt
\(\beta K := \{\{S_0, S_1, \dotsc , S_n\} \subset K \;|\; S_0 \subsetneqq S_1 \subsetneqq \dotsb \subsetneqq S_n\}\) baryzentrische Unterteilung von \(K\).
Bemerkung:
\(\beta K\) ist ein kombinatorischer Komplex, dessen Ecken genau die Simplizes von \(K\) sind.
Man kann \(\beta K\) auf \(|\K |\) wie folgt realisieren: Für \(S \in K\) wähle man \(\mu (S) \in \Int |S|\) (z. B. für \(S = \{s_0, \dotsc , s_n\}\) den Mittelpunkt \(\mu (S) =
\frac {1}{n + 1} s_0 + \dotsb + \frac {1}{n + 1} s_n\)). Die Abbildung \(\mu \colon \Omega (\beta K) = K \rightarrow |K|\) ist eine Darstellung von \(\beta K\) und induziert einen Homöomorphismus
\(h\colon |\beta K| \homoe |K|\).
Folgerung: In \(|K|\) ist jeder Punkt \(a\) starker Deformationsretrakt einer offenen Umgebung.
Folgerung: Sei \(K\) ein simplizialer Komplex. Die topologische Realisierung \(|K|\) ist kompakt genau dann, wenn \(K\) endlich ist.
Lemma (simpliziale Approximation): Seien \(f\colon |K| \rightarrow |L|\) eine stetige Abbildung und
\(\varphi \colon \Omega (K) \rightarrow \Omega (L)\) eine Abbildung, sodass \(f(\st (a)) \subset \st (\varphi (a))\) für alle \(a \in \Omega (K)\) ist. Dann gilt:
Die Abbildung \(\varphi \) ist simplizial, d. h. für alle \(S \in K\) gilt \(\varphi (S) \in L\).
Die topologische Realisierung \(g\colon |K| \rightarrow |L|\) von \(\varphi \colon K \rightarrow L\) erfüllt:
Für jedes \(x \in |K|\) liegen \(g(x)\) und \(f(x)\) in einem gemeinsamen Simplex in \(|L|\).Es gilt \(g \simeq f\) durch \(H(t, x) = (1 - t) \cdot g(x) + t \cdot f(x)\).
Satz (simpliziale Approximation): Seien \(K\) und \(L\) simpliziale Komplexe, wobei \(K\) endlich ist.
Dann ist jede Abbildung \(f\colon |K| \rightarrow |L|\) homotop zu einer simplizialen Abbildung
\(g\colon |K| = |\beta ^n K| \rightarrow |L|\) für \(n\) genügend groß.
Folgerung: Jede stetige Abbildung \(f\colon \sphere ^m \rightarrow \sphere ^n\) mit \(m < n\) ist nullhomotop.
Euler-Charakteristik
Bemerkung: Gegeben sei ein endlicher simplizialer Komplex \(K\). Gesucht wird eine topologische Invariante \(I(K)\), z. B. eine ganze Zahl, sodass aus \(|K| \cong |L|\) stets \(I(K) = I(L)\) folgt. Die Anzahl \(a_i\) der \(i\)-Simplizes eignet sich dafür nicht, da bspw. die baryzentrischen Unterteilungen die Zahlen \(a_0, a_1 \dotsc \) verändern.
Euler-Charakteristik: Sei \(K\) ein kombinatorischer simplizialer Komplex, der endlich ist.
Dann heißt \(\chi (K) := \sum _{S \in K} (-1)^{\dim S}\) Euler-Charakteristik, d. h.
\(\chi (K) = +\; \text {Anzahl 0-Simplizes (Ecken)} \;-\; \text {Anzahl 1-Simplizes (Kanten)}\)
\(\;+\; \text {Anzahl 2-Simplizes (Dreiecke)} \;-\; \text {Anzahl 3-Simplizes (Tetraeder)} + \dotsb \).
Satz (Euler-Charakteristik von \(D^n\), \(S^n\)): Es gilt \(\dball ^n \cong |D^n|\) und \(\sphere ^n \cong
|S^n|\) mit
\(D^n := P(\{0, \dotsc , n\}) \setminus \{\emptyset \}\) und \(S^n := D^{n+1} \setminus \{\{0, \dotsc , n, n + 1\}\}\).
Dabei ist \(\chi (D^n) = 1\) und \(\chi (S^n) = 1 + (-1)^n\) für alle \(n \in \natural \).
Satz (Teilkomplexe): Seien \(K\) ein endlicher simplizialer Komplex und \(A, B\) Teilkomplexe von \(K\). Dann sind auch \(A \cap B\) und \(A \cup B\) Teilkomplexe und es gilt \(\chi (A \cup B) = \chi (A) + \chi (B) - \chi (A \cap B)\).
Satz (Eulerscher Polyedersatz):
Jede Triangulierung der Sphäre \(\sphere ^2\) hat Euler-Charakteristik \(2\).
Beispiel: Bspw. haben die Triangulierungen regelmäßiger Oktaeder und regelmäßiger Ikosaeder die Euler-Charakteristiken \(\chi (\text {Oktaeder}) = 6 - 12 + 8 = 2\) und \(\chi (\text {Ikosaeder}) = 12 - 30 + 20 = 2\).
Satz (Euler-Charakteristik Homöomorphie-invariant):
Seien \(K\) und \(L\) endliche simpliziale Komplexe. Aus \(|K| \cong |L|\) folgt \(\chi (K) = \chi (L)\).
Satz (Euler-Charakteristik Homotopie-invariant):
Seien \(K\) und \(L\) endliche simpliziale Komplexe. Aus \(|K| \simeq |L|\) folgt \(\chi (K) = \chi (L)\).
Euler-Charakteristik von top. Räumen: Sei \(X\) ein topologischer Raum.
Ist \(X\) homöomorph (oder auch nur homotopie-äquivalent) zur Realisierung \(|K|\) eines endlichen simplizialen Komplexes \(K\), dann heißt \(\chi (X) := \chi (K)\) Euler-Charakteristik von \(X\).
Beispiel: Es gilt \(\chi (\dball ^n) = 1\) und \(\chi (\sphere ^n) = 1 + (-1)^n\).
Flächen
Topologische Mannigfaltigkeiten
lokal euklidisch: Ein topologischer Raum \(M\) heißt lokal euklidisch der Dimension \(n\), falls es zu jedem Punkt \(x \in M\) eine offene Umgebung \(U \subset M\) und einen Homöomorphismus \(h\colon U \rightarrow V\) mit \(V \subset \real ^n\) offen gibt.
Beispiel: \(M\) ist diskret genau dann, wenn \(M\) lokal euklidisch der Dimension \(0\) ist.
Jede offene Menge \(M \subset \real ^n\) ist lokal euklidisch der Dimension \(n\).
\(\sphere ^n \subset \real ^{n+1}\) ist lokal euklidisch der Dimension \(n\) (mithilfe der stereographischen Projektion).
\(\dball ^n \subset \real ^n\) ist nicht lokal euklidisch.
Bemerkung: Aus lokal euklidisch folgt nicht hausdorffsch. Ein Gegenbeispiel ist die Gerade mit doppeltem Ursprung (lokal euklidisch der Dimension \(1\), aber nicht hausdorffsch).
Mannigfaltigkeit: Für \(n \in \natural \) sei \(\real ^n_+ := \{(x_1, \dotsc , x_n) \in \real ^n \;|\; x_1 \ge 0\}\),
\(\partial \real ^n_+ := \{(x_1, \dotsc , x_n) \in \real ^n \;|\; x_1 = 0\}\) und \(\Int \real ^n_+ := \{(x_1, \dotsc , x_n) \in \real ^n \;|\; x_1 > 0\}\).
Ein topologischer Raum \(M\) heißt \(n\)-Mannigfaltigkeit, falls
\(M\) hausdorffsch ist und eine abzählbare Basis besitzt und
es zu jedem Punkt \(x \in M\) eine offene Umgebung \(U \subset M\) und einen Homöomorphismus \(h\colon U \rightarrow V\) gibt mit \(V \subset \real ^n_+\) offen (\(h\) heißt dann lokale Karte von \(M\)).
Gilt dabei \(h(x) \in \Int \real ^n_+\), dann heißt \(x\) innerer Punkt von \(M\) (\(x \in \Int M\)), gilt stattdessen \(h(x) \in \partial \real ^n_+\), dann heißt \(x\) Randpunkt von \(M\) (\(x \in \partial M\)).
offene/geschlossene Mannigfaltigkeit:
Eine \(n\)-Mannigfaltigkeit mit \(\partial M = \emptyset \) heißt \(n\)-Mannigfaltigkeit ohne Rand. Eine \(n\)-Mannigfaltigkeit ohne Rand heißt geschlossen, falls \(M\) kompakt ist, und offen, falls \(M\) nicht kompakt ist.
Beispiel: \(M\) ist diskret und abzählbar genau dann, wenn \(M\) eine \(0\)-Mannigfaltigkeit ist.
\(\ball ^n \subset \real ^n\) (\(\Int \ball ^n = \ball ^n\), \(\partial \ball ^n = \emptyset \)), \(\dball ^n \subset \real ^n\) (\(\Int \dball ^n = \ball ^n\), \(\partial \dball ^n
= \sphere ^{n-1}\)) und
\(\sphere ^n \subset \real ^{n+1}\) (\(\Int \sphere ^n = \sphere ^n\), \(\partial \sphere ^n = \emptyset \)) sind \(n\)-Mannigfaltigkeiten.
\(\emptyset \) ist eine \(n\)-Mannigfaltigkeit für alle \(n \in \natural \).
Satz (Eindeutigkeit der Dimension):
Ist \(M \not = \emptyset \) sowohl \(m\)- als auch \(n\)-Mannigfaltigkeit, dann gilt \(m = n\).
Dimension: Sei \(M \not = \emptyset \) eine \(n\)-Mannigfaltigkeit.
Dann heißt \(\dim M := n\) die Dimension von \(M\).
Satz (Disjunktheit von Innerem und Rand):
Ist \(M\) eine \(n\)-Mannigfaltigkeit, dann gilt \(\Int M \cap \partial M = \emptyset \).
Satz (Inneres/Rand als Mannigfaltigkeit): Für jede \(n\)-Mannigfaltigkeit \(M \not = \emptyset \) gilt:
\(\Int M \not = \emptyset \) und \(\Int M\) ist eine \(n\)-Mfkt. ohne Rand. \(\partial M\) ist eine \(n - 1\)-Mfkt. ohne Rand.
\(\Int M \subset M\) ist offen und \(\partial M \subset M\) ist abgeschlossen. Aus \(M\) kompakt folgt \(\partial M\) kompakt.
Satz (Produktmannigfaltigkeit): Sind \(M\) bzw. \(N\) \(m\)- bzw. \(n\)-Mannigfaltigkeiten, so ist \(M \times N\) eine \(m + n\)-Mannigfaltigkeit mit \(\partial (M \times N) = (\partial M \times N) \cup (M \times \partial N)\).
Beispiele und Klassifikationssätze
ohne Rand | mit Rand | |
kompakt | \(\sphere ^1\) | \([0, 1]\) |
nicht kompakt | \(\real \) | \(\left [0, 1\right [\) |
Satz (Klassifikation der \(1\)-Mannigfaltigkeiten): Jede zusammenhängende \(1\)-Mannigfaltigkeit ist homöomorph zu genau einer dieser Repräsentanten.
Fläche: Eine Fläche ist eine \(2\)-Mannigfaltigkeit.
geschlossene Fläche: Man startet mit der \(2\)-Sphäre \(F_0 := \sphere ^2\) und dem Einheitstorus
\(F_1 := \sphere ^1 \times \sphere ^1\). Anschließend verklebt man für \(g \ge 1\) die Flächen \(F_g\) und \(F_1\) zu einer neuen Fläche \(F_{g+1}\) mit \(g + 1\) Löchern.
\(F_g\) heißt orientierbare geschlossene Fläche vom Geschlecht \(g\).
Identifiziert man in \(F_g\) gegenüberliegende Punkte paarweise miteinander, so erhält man die nicht-orientierbare geschlossene Fläche \(N_g := F_g/\pm 1\) vom
Geschlecht \(g\).
Für \(g = 1\) erhält man den projektiven Raum \(\real \projective ^2 = F_0/\pm 1\). \(F_1/\pm 1\) ist die Kleinsche
Flasche.
Satz (Klassifikation der \(2\)-Mannigfaltigkeiten): Jede zusammenhängende geschlossene Fläche \(F\) ist homöomorph zu genau einer dieser Repräsentanten (\(F_g\) oder \(N_g\) für ein \(g \in \natural \)).
Klassifikation geschlossener Flächen
Modellflächen: Mit \(Q_0 := [-2, 2] \times [-2, 2]\), \(Q_1 := Q_0 \setminus ([-1, 1] \times [-1, 1])\) und
\(Q_g := \bigcup _{k=1}^g (Q_1 - 2 - 2g + 4k)\), \(g \ge 2\) werden kompakte Flächen mit Rand definiert (\(Q_g\) ist ein Rechteck mit \(g\) Löchern). Der Produktraum \(H_g := Q_g \times [-1,
1]\) heißt Henkelkörper vom Geschlecht \(g\) (\(3\)-Mannigfaltigkeit mit Rand). \(H_g \subset \real ^3\) ist punktsymmetrisch, d. h. \(-H_g = H_g\).
Orientierbarkeit im triangulierten Fall: Eine Mannigfaltigkeit heißt orientierbar, falls es eine Triangulierung gibt, sodass man jedem Dreieck eine Orientierung zuordnen kann, wobei jede Kante von den benachbarten Dreiecken gegenläufige Orientierungen erbt.
Satz (Rand der Modellflächen): Der Rand \(F_g^+ := \partial H_g\) ist eine zusammenhängende geschlossene
Fläche. Sie ist orientierbar und hat Euler-Charakteristik \(\chi (F_g^+) = 2 - 2g\).
Der Quotientenraum \(F_g^- := F_g^+ / \{\pm \}\) ist ebenfalls eine zusammenhängende geschlossene Fläche. Sie ist nicht-orientierbar und hat Euler-Charakteristik \(\chi (F_g^-) = 1 - g\).
Satz (Klassifikationssatz): Jede zusammenhängende geschlossene Fläche \(F\) ist homöomorph zu genau einer der Modellflächen \(F_g^\pm \). Genauer gilt:
Ist \(F\) orientierbar (\(\varepsilon := +\)), dann ist \(\chi (F) = 2 - 2g\) für ein \(g \in \natural \).
Ist \(F\) nicht-orientierbar (\(\varepsilon := -\)), dann ist \(\chi (F) = 1 - g\) für ein \(g \in \natural \).
Allein aus diesen beiden Informationen folgt bereits die Homöomorphie \(F \cong F_g^\varepsilon \).
Satz (Triangulierbarkeit topologischer Flächen):
Jede topologische Mannigfaltigkeit der Dimension \(\le 3\) lässt sich triangulieren.
Satz (triangulierte Flächen):
Sei \(K\) ein endlicher simplizialer Komplex. \(|K|\) ist eine Fläche genau dann, wenn
jeder Simplex in einem \(2\)-Simplex enthalten ist,
jeder \(1\)-Simplex in höchstens zwei \(2\)-Simplizes enthalten ist und
für jede Ecke \(a\) die \(2\)-Simplizes \(\Delta _1, \dotsc , \Delta _k\), die \(a\) enthalten, sich so anordnen lassen, dass jeweils \(\Delta _i\) und \(\Delta _{i+1}\) eine gemeinsame Kante haben.
Polygonmodell: Sei \(n \in \natural \) mit \(n \ge 2\). Die Kreislinie \(\sphere ^1 = \rand {\dball ^2}\) wird in \(n\) gleichlange Segmente \(\gamma _k\colon [0,1] \rightarrow \sphere ^1\)
mit \(\gamma _k(t) = \exp (\frac {2\pi \i }{n} (k - 1 + t))\), \(k = 1, \dotsc , n\) unterteilt.
Sei \(w = w_1 \dotsb w_n\) ein Wort über dem Alphabet \(a^{\pm 1}, b^{\pm 1}, \dotsc \). Für \(w_k = w_\ell \) wird \(\gamma _k(t) \sim \gamma _\ell (t)\) für alle \(t \in [0,
1]\) identifiziert, für \(w_k = w_\ell ^{-1}\) wird \(\gamma _k(t) \sim \gamma _\ell (1 - t)\) für alle \(t \in [0, 1]\) identifiziert.
Dies erzeugt eine Äquivalenzrelation \(\sim \). Der Quotientenraum ist \(\dball ^2 / \aufspann {w} := \dball ^2 / \sim \).
Bemerkung: Ist \(n \ge 3\), so kann man das Polygonmodell auch durch ein regelmäßiges \(n\)-Eck realisieren, an dessen Kanten die Buchstaben des Worts stehen.
Satz (Polygonmodell geschlossener Flächen): Der Raum \(\dball ^2 / \aufspann {w}\) ist eine geschlossene Fläche genau dann, wenn jeder Buchstabe in \(w\) genau zweimal vorkommt. In diesem Fall heißt \(w\) Flächenwort. Tritt ein Buchstabe in \(w\) zweimal mit gleichem Exponenten auf, dann ist \(\dball ^2 / \aufspann {w}\) nicht-orientierbar, andernfalls ist \(\dball ^2 / \aufspann {w}\) orientierbar.
Beispiel: Der Raum \(\dball ^2 / \aufspann {a_1 b_1 a_1^{-1} b_1^{-1} \dotsb a_g b_g a_g^{-1} b_g^{-1}}\) ist eine zusammenhängende, orientierbare, geschlossene Fläche mit
Euler-Charakteristik \(2 - 2g\). Der Raum \(\dball ^2 / \aufspann {c_0 c_0 \dotsb c_g c_g}\) ist eine zusammenhängende, nicht-orientierbare, geschlossene Fläche mit Euler-Charakteristik \(1 -
g\).
Es gilt \(\dball ^2 / \aufspann {a a^{-1}} \cong \sphere ^2\), \(\dball ^2 / \aufspann {a a} \cong \real \projective ^2 = \sphere ^2 / \{\pm 1\}\), \(\dball ^2 /
\aufspann {a b a^{-1} b^{-1}} \cong \sphere ^1 \times \sphere ^1\) und
\(\dball ^2 / \aufspann {a b a b^{-1}} \cong (\sphere ^1 \times \sphere ^1) / \{\pm 1\}\)
Lemma (zusammenhängende, geschlossene Fläche homöomorph zu einem Polygonmodell):
Jede zusammenhängende, geschlossene Fläche ist homöomorph zu einem Raum \(\dball ^2 / \aufspann {w}\) für ein geeignetes Flächenwort \(w\).
Lemma (Umformungen): Folgende Umformungen sind möglich (\(\varepsilon , \delta \in \{\pm 1\}\)):
\(\dball ^2 / \aufspann {w_1 w_2 \dotsb w_n} \cong \dball ^2 / \aufspann {w_2 \dotsb w_n w_1}\) (zyklische Umordnung)
\(\dball ^2 / \aufspann {\dotsb a^\varepsilon \dotsb a^\delta \dotsb } \cong \dball ^2 / \aufspann {\dotsb b^\varepsilon \dotsb b^\delta \dotsb }\) (wobei \(a\) und \(b\) sonst nicht vorkommen)
\(\dball ^2 / \aufspann {\dotsb a^\varepsilon \dotsb a^\delta \dotsb } \cong \dball ^2 / \aufspann {\dotsb a^{-\varepsilon } \dotsb a^{-\delta } \dotsb }\)
\(\dball ^2 / \aufspann {\dotsb a b b^{-1} c \dotsb } \cong \dball ^2 / \aufspann {\dotsb a c \dotsb }\) (Einklappen)
\(\dball ^2 / \aufspann {\dotsb c \dotsb c \dotsb } \cong \dball ^2 / \aufspann {\dotsb c c \dotsb }\) (Zusammenfassen von Kreuzhauben)
\(\dball ^2 / \aufspann {\dotsb c c x \dotsb } \cong \dball ^2 / \aufspann {\dotsb x c c \dotsb }\) (Verschieben von Kreuzhauben)
\(\dball ^2 / \aufspann {\dotsb a \dotsb b \dotsb a^{-1} \dotsb b^{-1} \dotsb } \cong \dball ^2 / \aufspann {\dotsb a b a^{-1} b^{-1} \dotsb }\) (Zusammenfassen von Henkeln)
\(\dball ^2 / \aufspann {\dotsb a b a^{-1} b^{-1} x \dotsb } \cong \dball ^2 / \aufspann {\dotsb x a b a^{-1} b^{-1} \dotsb }\) (Verschieben von Henkeln)
Satz (Umformung in normalisierte Form): Mit obigen Umformungen kann jedes Flächenwort überführt werden in \(w =
c_1 c_1 \dotsb c_k c_k a_1 b_1 a_1^{-1} b_1^{-1} \dotsb a_\ell b_\ell a_\ell ^{-1} b_\ell ^{-1}\).
Jede zusammenhängende geschlossene Fläche \(F\) erfüllt demnach
\(F \cong \dball ^2 / \aufspann {c_1 c_1 \dotsb c_k c_k a_1 b_1 a_1^{-1} b_1^{-1} \dotsb a_\ell b_\ell a_\ell ^{-1} b_\ell ^{-1}}\) für geeignete \(k, \ell \in \natural \).
Im Falle \(k \ge 1\) kann man dies weiter vereinfachen zu \(F \cong \dball ^2 / \aufspann {c_1 c_1 \dotsb c_{k’} c_{k’}}\) mit \(k’ = k + 2\ell \).
Für den Fall \(k = 0\) erhält man \(F \cong \dball ^2 / \aufspann {a_1 b_1 a_1^{-1} b_1^{-1} \dotsb a_\ell b_\ell a_\ell ^{-1} b_\ell ^{-1}}\).
Klassifikation kompakter Flächen mit Rand
Modellflächen: Als Modell betrachtet man die Flächen \(F_{g,r}^\pm \) mit \(g \ge 0\) und \(r \ge 1\), wobei \(F_{g,r}^+\) ein Band mit \(g\) angeklebten Paaren von ineinander verschränkten Bändern und \(r - 1\) zusätzliche angeklebte Bänder sowie \(F_{g,r}^-\) ein Band mit \(g + 1\) angeklebten einmal verdrehten Bändern und \(r - 1\) zusätzliche angeklebte Bänder.
Satz (Klassifikation kompakter Flächen mit Rand): Jede zusammenhängende, kompakte Fläche \(M\) mit Rand \(\partial M \not = \emptyset \) ist homöomorph zu genau einem der Modelle \(F_{g,r}^\pm \).