Motivation und Distributionslösung

Bemerkung: Aus verschiedenen Gründen ist der klassische Lösungsbegriff nicht ausreichend.

  • Bei der nicht-linearen Konvektion versagt der Begriff der klassischen Lösung bei großen Zeiten, wenn sich die Charakteristiken schneiden. Es ist also ein Lösungsbegriff erforderlich, welcher Unstetigkeiten (Schocks) erlaubt.

  • Bei der Poisson-Gleichung könnte man auch einen unstetigen Quellterm verwenden. Ist z. B. \(-u’’(x) = f(x)\) in \(\Omega := (0, 1)\) mit \(f\) unstetig (z. B. Heizprozess in Teilgebiet), so ist nicht zu erwarten, dass \(u \in \C ^2(\Omega )\) existiert.

  • Bei der Diffusionsgleichung könnte man auch unstetige Koeffizienten verwenden. Ist z. B. \(-\frac {\d }{\dx } (a(x) u’(x)) = 0\) in \(\Omega := (0, 1)\) mit \(a\) unstetig (z. B. geschichtete Materialien), dann kann \(a(x) u’(x)\) stetig diffb. fortsetzbar sein, obwohl \(u\) nicht-diffb. ist: Wähle \(a(x) := 1\) für \(x \le 1/2\) und \(a(x) := 2\) sonst und \(u(x) := x\) für \(x \le 1/2\) und \(u(x) := 1/4 + x/2\) sonst, dann ist \(a(x) u’(x) = 1\) für \(x \not = 1/2\), aber \(u\) ist nicht differenzierbar (aber eine schw. Lsg.).

  • Bei der Wellengleichung ist die 1D-Lösungsformel auch für nicht nicht-diffb. oder sogar unstetige Anfangsdaten berechenbar, allerdings ist \(u(x, t) := \frac {1}{2} (u_0(x - ct) + u_0(x + ct))\) dann nicht-diffb. oder unstetig, also keine klassische Lösung (aber eine Distributionslösung).

Bemerkung: Die Distributionslösung dient als Beispiel eines verallg. Lösungsbegriffs und wird nur kurz behandelt. Distr.lsg.en können auch für nicht-lineare Diff.op.en definiert werden.

Distributionslösung:  Seien \(\Omega \subset \real ^d\) offen, \(f \in L^1_\loc (\Omega )\) und \(\L \colon \C ^k(\Omega ) \to \C ^0(\Omega )\) ein linearer Differentialoperator mit \(\L u := \sum _{|\beta | \le k} a_{\beta } \partial ^\beta u\), wobei \(a_\beta \in \real \).
Dann heißt \(u \in L^1_\loc (\Omega )\) Distributionslösung von \(\L u = f\), falls
\(\forall _{\phi \in \C ^\infty _0(\Omega )}\; \sum _{|\beta | \le k} a_\beta (-1)^{|\beta |} \int _\Omega u (\partial ^\beta \phi ) \dx = \int _\Omega f\phi \dx \).

Bemerkung: Distributionslösungen treffen keine Aussagen über Randwerte.
Bei nicht-linearen Problemen ergeben sich evtl. Mehrdeutigkeiten, weswegen man dann Zusatzforderungen stellen muss. Klassische Lösungen sind Distributionslösungen.

Satz (Distr.lsg. als kl. Lsg.): Sei \(u\) eine Distributionslösung von \(\L u = f\) mit \(f \in \C ^0(\Omega )\) und \(u \in \C ^k(\Omega )\). Dann ist \(u\) eine klassische Lösung von \(\L u = f\).

Satz (Distr.lsg. der 1D-Wellengleichung): Seien \(\Omega _T := \real \times (0, T)\) und \(u_0 \in L^1(\real ) \cap L^\infty (\real )\).
Dann ist \(u(x, t) := \frac {1}{2} (u_0(x - ct) + u_0(x + ct))\) eine Distributionslsg. der Wellengleichung in \(\Omega _T\).

Schwache Ableitungen und Sobolev-Räume

Schwache Ableitungen

schwache Ableitung:  Seien \(\beta \in \natural _0^d\) ein Multiindex, \(\Omega \subset \real ^d\) offen und \(u \in L^1_\loc (\Omega )\).
Dann heißt \(v^\beta \in L^1_\loc (\Omega )\) schwache Ableitung von \(u\) der Ordnung \(\beta \), falls
\(\forall _{\phi \in \C ^\infty _0(\Omega )}\; \int _\Omega u (\partial ^\beta \phi ) \dx = (-1)^{|\beta |} \int _\Omega v^\beta \phi \dx \).

Satz (Eindeutigkeit): Es gibt höchstens eine schwache Ableitung von \(u\) der Ordnung \(\beta \).

Satz (kl. sind schw. Ableitungen): Seien \(m \in \natural \), \(|\beta | \le m\) und \(u \in \C ^m(\Omega )\) mit klassischer Ableitung \(\partial ^\beta u\). Dann gibt es die schw. Ableitung \(v^\beta \) von \(u\) und es gilt \(v^\beta = \partial ^\beta u\) fast überall.

Bemerkung: Die Behauptung gilt auch auf Teilintervallen, d. h. ist \(u\) stückweise klassisch diffb., so ist die schw. Ableitung (falls existent) stückweise gleich der kl. Ableitung.
Wegen der Eindeutigkeit und der Verallgemeinerung von klassischen Ableitungen sei im Folgenden \(\partial ^\beta u := v^\beta \) die schwache Ableitung von \(u\) (falls existent).

Beispiel: Seien \(\Omega := (-1, 1)\) und \(u(x) := |x|\). Dann ist \(\sgn (x)\) eine schwache Ableitung von \(u\), weil für \(\phi \in \C ^\infty _0(\Omega )\) gilt, dass \(\int _\Omega u(x) \phi ’(x) \dx = \int _{-1}^0 (-x) \phi ’(x) \dx + \int _0^1 x \phi ’(x) \dx \)
\(= -\int _{-1}^0 (-1) \phi (x) \dx + \cancel {[-x \phi (x)]_{-1}^0} - \int _0^1 1 \cdot \phi (x) \dx + \cancel {[x \phi (x)]_0^1} = -\int _\Omega u(x) \phi (x) \dx \).
Allerdings ist \(v(x) := \sgn (x)\) nicht schwach diffb.: Angenommen \(v\) wäre schwach diffb., dann würde für die schw. Ableitung \(\partial _x v\) gelten, dass \(\partial _x v(x) = 0\) für \(x \not = 0\), also \(-\int _\Omega (\partial _x v) \phi \dx = 0\). Andererseits gilt für \(\phi \in \C ^\infty _0(\real )\) mit \(\phi (0) \not = 0\), dass
\(-\int _\Omega (\partial _x v) \phi \dx = \int _\Omega v \partial _x \phi \dx = \int _0^1 \phi ’(x) \dx - \int _{-1}^0 \phi ’(x) \dx = -2\phi (0) \not = 0\), ein Widerspruch.

Sobolev-Räume

Sobolev-Norm:  Seien \(m \in \natural _0\), \(p \in [1, \infty ]\), \(\Omega \subset \real ^d\) offen und \(u \in L^1_\loc (\Omega )\). Falls alle schwachen Ableitungen \(\partial ^\beta u\) für \(|\beta | \le m\) existieren, so ist die Sobolev-Norm von \(u\) definiert durch \(\norm {u}_{H^{m,p}(\Omega )} := \left (\sum _{|\beta | \le m} \norm {\partial ^\beta u}_{L^p(\Omega )}^p\right )^{1/p}\) für \(p \in [1, \infty )\) und \(\norm {u}_{H^{m,\infty }(\Omega )} := \max _{|\beta | \le m} \norm {\partial ^\beta u}_{L^\infty (\Omega )}\).

Sobolev-Raum:  Seien \(m \in \natural _0\), \(p \in [1, \infty ]\) und \(\Omega \subset \real ^d\) offen.
Dann ist der Sobolev-Raum ist definiert durch \(H^{m,p}(\Omega ) := \{u \in L^1_\loc (\Omega ) \;|\; \norm {u}_{H^{m,p}(\Omega )} < \infty \}\).
Für \(p = 2\) definiert man \(H^m(\Omega ) := H^{m,2}(\Omega )\).

Sobolev-Halbnorm:  Die Sobolev-Halbnorm ist definiert durch
\(|u|_{H^{m,p}(\Omega )} := \left (\sum _{|\beta | = m} \norm {\partial ^\beta u}_{L^p(\Omega )}^p\right )^{1/p}\) für \(p \in [1, \infty )\) und \(|u|_{H^{m,\infty }(\Omega )} := \max _{|\beta | = m} \norm {\partial ^\beta u}_{L^\infty (\Omega )}\).

Bemerkung: In der Literatur schreibt man oft auch \(W^{m,p}(\Omega )\) statt \(H^{m,p}(\Omega )\).
Wegen des letzten Satzes gilt \(\C ^m_0(\Omega ) \subset H^{m,p}(\Omega )\) und, wenn \(\Omega \) beschränkt ist, \(\C ^m(\overline {\Omega }) \subset H^{m,p}(\Omega )\).

Sobolev-Dualräume:  Seien \(p, q \in [1, \infty ]\) mit \(\frac {1}{p} + \frac {1}{q} = 1\). Dann ist \(H^{-m,q}(\Omega ) := (H^{m,p}(\Omega ))’\) der Dualraum von \(H^{m,p}(\Omega )\). Für \(p = q = 2\) schreibt man \(H^{-m}(\Omega ) := H^{-m,2}(\Omega ) = (H^m(\Omega ))’\).

Bemerkung: Damit kann man PDEs betrachten, deren rechte Seiten Funktionale statt Funktionen sind.

Eigenschaften der Sobolev-Räume

Satz (Vollständigkeit von \(H^{m,p}\)): Seien \(m \in \natural _0\) und \(p \in [1, \infty ]\).
Dann ist \(H^{m,p}(\Omega )\) ein Banachraum und \(H^m(\Omega )\) ein Hilbertraum mit dem Skalarprodukt
\(\innerproduct {u, v}_{H^m(\Omega )} := \sum _{|\beta | \le m} \innerproduct {\partial ^\beta u, \partial ^\beta v}_{L^2(\Omega )}\).

Bemerkung: Die Vollständigkeit ist ein praktischer Vorteil gegenüber klassischen Funktionenräumen, denn \(\C ^m(\overline {\Omega })\) ist i. A. nicht vollständig: Für \(m = 0\) wähle z. B. \(u_\varepsilon \in \C ^0([-a, a])\) mit \(u_\varepsilon (x) := 0\) für \(x \in [-a, 0)\), \(u_\varepsilon (x) := x/\varepsilon \) für \(x \in [0, \varepsilon )\) und \(u_\varepsilon (x) := 1\) für \(x \in [\varepsilon , a]\). Dann geht \(u_\varepsilon \) in \(L^p([-a,a])\) für \(\varepsilon \to 0\) gegen \(u := \chi _{[0,a]} \in L^p(\Omega )\). \(u\) liegt aber nicht in \(\C ^0([-a,a])\), weswegen dort kein Grenzwert existiert (obwohl \(u_\varepsilon \) eine Cauchy-Folge ist).
Man kann Sobolev-Räume für \(p \in [1, \infty )\) auch als Vervollständigung definieren:
Für \(\Omega \subset \real ^d\) Lipschitz-Gebiet und \(p \in [1, \infty )\) gilt \(H^{m,p}(\Omega ) = \overline {\C ^m(\overline {\Omega })}^{\norm {\cdot }_{H^{m,p}(\Omega )}}\).
Für allgemeines \(\Omega \subset \real ^d\) offen und \(p \in [1, \infty )\) gilt \(H^{m,p}(\Omega ) = \overline {H^{m,p}(\Omega ) \cap \C ^\infty (\Omega )}^ {\norm {\cdot }_{H^{m,p}(\Omega )}}\).

Satz (Approximierbarkeit durch \(\C ^\infty \)-Funktionen): Für \(p \in [1, \infty )\) ist \(H^{m,p}(\Omega ) \cap \C ^\infty (\Omega )\) dicht in \(H^{m,p}(\Omega )\), d. h. \(\forall _{f \in H^{m,p}(\Omega )} \exists _{(f_j)_{j \in \natural } \subset H^{m,p}(\Omega ) \cap \C ^\infty (\Omega )}\; \norm {f_j - f}_{H^{m,p}(\Omega )} \to 0\).

Bemerkung: Aufgrund der \(\C ^\infty \)-Approximierbarkeit übertragen sich die Regeln für den Umgang mit Ableitungen von klassisch auf schwach differenzierbare Funktionen, z. B. Linearität, partielle Integration, Gauß-Integralsatz und Produkt-/Kettenregel.

\begin{gather*} \setlength {\arraycolsep }{0.3mm} \begin{array}{ccccccccc} L^p(\Omega )&=&H^{0,p}(\Omega )&\supset &H^{1,p}(\Omega )& \supset &\dotsb &\supset &H^{m,p}(\Omega )\\ &&\cup &&\cup &&&&\cup \\ &&H^{0,p}_0(\Omega )&\supset &H^{1,p}_0(\Omega )& \supset &\dotsb &\supset &H^{m,p}_0(\Omega )\\ &&\cup &&\cup &&&&\cup \\ &&\C ^0_0(\Omega )&\supset &\C ^1_0(\Omega )& \supset &\dotsb &\supset &\C ^m_0(\Omega ) \end {array} \end{gather*}

Bemerkung: Weil \(L^p(\Omega )\)-Funktionen auf Nullmengen nicht wohldefiniert sind und beliebig abgeändert werden können, ist unklar, was man unter „Randwerten“ einer \(H^{m,p}(\Omega )\)-Funktion verstehen soll. Für \(m \ge 1\) hilft jedoch die zusätzliche Regularität, sog. schwache Randwerte zu definieren, die durch einen Spuroperator extrahiert werden können.

Sobolev-Raum mit schwachen Nullrandwerten:  Seien \(m \in \natural \) und \(p \in [1, \infty )\).
Dann heißt \(H^{m,p}_0(\Omega ) := \overline {\C ^\infty _0(\Omega )}^{\norm {\cdot }_{H^{m,p}(\Omega )}}\) Sobolev-Raum mit schwachen Nullrandwerten.

Bemerkung: \(\Omega \) kann auch unbeschränkt sein. In der Literatur findet man auch \(W^{m,p}_0(\Omega )\) usw.
Für \(m = 1\), \(p \in [1, \infty )\) und \(\Omega \subset \real ^d\) Lipschitz-Gebiet gilt \(H^{1,p}_0(\Omega ) = \{f \in H^{1,p}(\Omega ) \;|\; f|_{\partial \Omega } = 0\}\) (im Sinne des Spuroperators unten).

Satz (Vollständigkeit von \(H^{m,p}_0\)): Seien \(m \in \natural \) und \(p \in [1, \infty )\). Dann ist \(H^{m,p}_0(\Omega ) \subset H^{m,p}(\Omega )\) abgeschlossen, insb. ist \(H^{m,p}_0(\Omega )\) ein Banachraum mit der Norm \(\norm {\cdot }_{H^{m,p}(\Omega )}\).

Bemerkung: Man erhält damit obiges Diagramm.

Satz (Spursatz): Seien \(p \in [1, \infty )\) und \(\Omega \subset \real ^d\) ein Lipschitz-Gebiet.
Dann gibt es einen lin., st. Spuroperator \(\gamma \colon H^{1,p}(\Omega ) \to L^p(\partial \Omega )\) mit \(\forall _{u \in H^{1,p}(\Omega ) \cap \C ^0(\overline {\Omega })}\; \gamma (u) = u|_{\partial \Omega }\).
Insbesondere gilt \(\forall _{u \in H^{1,p}_0(\Omega )}\; \gamma (u) = 0\) und \(\exists _{C > 0} \forall _{u \in H^{1,p}(\Omega )}\; \norm {\gamma (u)}_{L^p(\partial \Omega )} \le C \norm {u}_{H^{1,p}(\Omega )}\).

Bemerkung: Auf Nicht-Lipschitz-Gebieten ist die Aussage i. A. falsch.

Sobolevsche Einbettungssätze

Bemerkung: Man kann die Räume \(H_0^{m_1,p_1}(\Omega )\) stetig in \(H_0^{m_2,p_2}(\Omega )\) einbetten, wenn man die Parameter \(m_1, m_2, p_1, p_2\) geeignet wählt. Außerdem kann man diese Räume in Hölderräume \(\C ^{m,\alpha }\) für geeignetes \(m, \alpha \) einbetten, d. h. Funktionen aus \(H^{m,p}(\Omega )\) sind unter gewissen Umständen klassisch differenzierbar und besitzen eine endliche Hölderkonstante.

Satz (1. sobolevscher Einbettungssatz): Seien \(\Omega \subset \real ^d\) offen und beschränkt, \(m_1, m_2 \in \natural _0\) mit \(m_1 \ge m_2\) und \(p_1, p_2 \in [1, \infty )\). Wenn \(m_1 - \frac {d}{p_1} \ge m_2 - \frac {d}{p_2}\) erfüllt ist, so existiert die Einbettung \(J\colon H_0^{m_1,p_1}(\Omega ) \to H_0^{m_2,p_2}(\Omega )\) und ist stetig, d. h. \(\exists _{C > 0} \forall _{u \in H_0^{m_1,p_1}(\Omega )}\; \norm {u}_{H^{m_2,p_2}(\Omega )} \le C \norm {u}_{H^{m_1,p_1}(\Omega )}\).
Ist \(\Omega \) ein Lipschitz-Gebiet, dann gilt die Aussage sogar für \(H^{m_i,p_i}(\Omega )\) statt \(H_0^{m_i,p_i}(\Omega )\).

Satz (2. sobolevscher Einbettungssatz): Seien \(\Omega \subset \real ^d\) offen und beschränkt, \(m, k \in \natural _0\) mit \(m \ge k\), \(p \in [1, \infty )\) und \(\alpha \in (0, 1)\). Wenn \(m - \frac {d}{p} \ge k + \alpha \) erfüllt ist, so existiert die Einbettung \(J\colon H_0^{m,p}(\Omega ) \to \C ^{k,\alpha }(\Omega )\) und ist stetig, d. h. \(\exists _{C > 0} \forall _{u \in H_0^{m,p}(\Omega )}\; \norm {u}_{\C ^{k,\alpha }(\Omega )} \le C \norm {u}_{H^{m,p}(\Omega )}\).
Ist \(\Omega \) ein Lipschitz-Gebiet, dann gilt die Aussage sogar für \(H^{m,p}(\Omega )\) statt \(H_0^{m,p}(\Omega )\).

Bemerkung: Weil \(m - \frac {d}{p}\) eine wichtige Größe ist, die die Regularität der Funktionen aus \(H^{m,p}(\Omega )\) charakterisiert, nennt man diese Zahl auch Sobolev-Index von \(H^{m,p}(\Omega )\).

Satz (Stetigkeit für \(H^1(\Omega )\) mit \(d = 1\)): Seien \(d = 1\) und \(\Omega \subset \real \) offen und beschränkt.
Dann ist \(u \in H^1(\Omega )\) stetig (d. h. es gibt einen stetigen Repr. in der Äquiv.klasse von \(u\)).

Bemerkung: Für \(d > 1\) ist \(m - \frac {d}{p} \le 0\) für \(m := 1\) und \(p := 2\), d. h. \(\forall _{\alpha \in (0, 1)}\; m - \frac {d}{p} \not \ge k + \alpha \).
Daher ist der 1. Sobolev-Einbettungssatz dann nicht anwendbar und der Satz von eben gilt i. A. nicht. Gegenbeispiele sind folgende Funktionen mit Punkt-Singularität im Ursprung:

  • \(d = 2\): \(u \in H^1(B_1(0))\) mit \(u(x) := \ln (\ln (\frac {2}{\norm {x}})\) und

  • \(d \ge 3\): \(u \in H^1(B_1(0))\) mit \(u(x) := \norm {x}^{-\beta }\) und \(\beta \in (0, \frac {d-2}{2})\).

Poincaré-Friedrichs-Ungleichung

Satz (Poincaré-Friedrichs-Ungleichung):
Seien \(\Omega \subset \real ^d\) offen und beschränkt sowie \(s := \diam (\Omega )\).
Dann gilt \(\forall _{v \in H^1_0(\Omega )}\; \norm {v}_{L^2(\Omega )} \le s \cdot |v|_{H^1(\Omega )}\).

Bemerkung: Für die kleinste Poincaré-Konstante \(c_p\) gilt daher \(\sqrt {c_p} \le s\).
Der Satz gilt auch, wenn die verallgemeinerten Nullrandwerte nur auf einem Teil des Randes mit positivem \((d-1)\)-dimensionalen Maß angenommen werden.

Satz (Normäquivalenz auf \(H^m_0\)): Sei \(\Omega \subset \real ^d\) offen und beschränkt mit \(\diam (\Omega ) \le s\).
Dann sind auf \(H_0^m(\Omega )\) die Norm \(\norm {\cdot }_{H^m(\Omega )}\) und die Halbnorm \(|\cdot |_{H^m(\Omega )}\) äquivalent:
\(\forall _{v \in H^m_0(\Omega )}\; |v|_{H^m(\Omega )} \le \norm {v}_{H^m(\Omega )} \le (1 + s)^m \cdot |v|_{H^m(\Omega )}\).

Schwache Lösungen für elliptische Probleme

Motivation

Bemerkung: Zur Motivation sei \(u \in \C ^2(\Omega ) \cap \C ^0(\overline {\Omega })\) eine klassische Lösung des Poisson-Problems mit Nullrandwerten, d. h. \(-\Delta u = f\) in \(\Omega \), \(u = 0\) auf \(\partial \Omega \) (starke Form der PDE). Multipliziert man mit einer Testfunktion \(v \in \C ^1_0(\Omega )\) und integriert partiell, so bekommt man
\(\int _\Omega fv \dx = -\int _\Omega (\Delta u) v \dx = \int _\Omega \nabla u \cdot \nabla v \dx - \cancel {\int _{\partial \Omega } (\nabla u \cdot n) v \dsigma (x)}\), weil \(v = 0\) auf \(\partial \Omega \).
Damit gilt für \(u\), dass \(\forall _{v \in \C ^1_0(\Omega )}\; \int _\Omega \nabla u \cdot \nabla v \dx = \int _\Omega fv \dx \) (schwache Form der PDE).
Mit \(V := \C ^1_0(\Omega )\), der Bilinearform \(a(u, v) := \int _\Omega \nabla u \cdot \nabla v \dx \) und der Linearform \(\ell (v) := \int _\Omega fv \dx \) kann man dies umschreiben zu \(\forall _{v \in V}\; a(u, v) = \ell (v)\). Man schreibt deshalb \(V\), weil sowohl \(v \in \C ^1_0(\Omega )\) als auch \(v \in H^1_0(\Omega )\) sinnvoll eingesetzt werden kann. Man kann also insbesondere schwache Lösungen \(u \in H^1_0(\Omega )\) suchen.
Obige Rechnung zeigt, dass klassische Lösungen auch schwache Lösungen sind. Allerdings kann es für allgemeines \(f\) (z. B. unstetig) vorkommen, dass keine klassische, sondern nur eine schwache Lösung existiert. Wie verhält es sich mit Existenz, Eindeutigkeit und Regularität von schwachen Lösungen?

Stetigkeit und Koerzivität

Stetigkeit:  Sei \(V\) ein Hilbertraum mit induzierter Norm \(\norm {\cdot }\). Dann heißt eine Bilinearform \(a\colon V \times V \to \real \) stetig mit Stetigkeitskonstante \(\gamma _a\), falls \(\gamma _a := \sup _{u, v \in V \setminus \{0\}} \frac {|a(u, v)|}{\norm {u} \norm {v}} < \infty \).
Eine Linearform \(\ell \colon V \to \real \) heißt stetig, falls \(\norm {\ell }_{V’} := \sup _{u \in V \setminus \{0\}} \frac {|\ell (u)|}{\norm {u}} < \infty \) (also \(\ell \in V’\)).

Beispiel: Das Skalarprodukt \(\innerproduct {\cdot , \cdot }\) von \(V\) ist stetig mit \(\gamma _a = 1\), denn \(|a(u, v)| = |\innerproduct {u, v}| \le \norm {u} \norm {v}\) nach Cauchy-Schwarz (und \(|a(u, u)| = |\innerproduct {u, u}| = \norm {u}^2\) für \(u = v\)).

Koerzivität:  Eine Bilinearform \(a\colon V \times V \to \real \) heißt koerziv mit Koerzivitätskonstante \(\alpha \), falls \(\alpha := \inf _{u \in V \setminus \{0\}} \frac {a(u, u)}{\norm {u}^2} > 0\).

Beispiel: Das Skalarprodukt \(\innerproduct {\cdot , \cdot }\) von \(V\) ist stetig mit \(\alpha = 1\), denn \(\frac {a(u, u)}{\norm {u}^2} = \frac {\innerproduct {u, u}}{\norm {u}^2} = 1\).

Bemerkung: Es gilt stets \(\alpha \le \gamma _a\). Man kann \(\gamma _a\) und \(\alpha \) durch EW-Probleme berechnen.
Eine Bilinearform ist koerziv genau dann, wenn ihr symm. Anteil \(a_S(u, v) := \frac {1}{2} (a(u, v) + a(v, u))\) koerziv ist. In diesem Fall besitzen \(a\) und \(a_S\) dieselbe Koerzivitätskonstante.

Schwache Formen elliptischer Probleme

Bilinearform/Linearform für ell. PDE:  Seien \(\Omega \subset \real ^d\) offen und beschränkt und die elliptische PDE \(-\div (A\nabla u) + \div (bu) + cu = f\) in \(\Omega \) und \(u = 0\) auf \(\partial \Omega \) mit
\(A = (a_{ij})_{i,j=1}^d \in L^\infty (\Omega , \real ^{d \times d})\), \(b = (b_i)_{i=1}^d \in L^\infty (\Omega , \real ^d)\), \(c \in L^\infty (\Omega )\) und \(f \in L^2(\Omega )\) gegeben.
Dann ist die zugehörige Bilinearform \(a\colon H^1(\Omega ) \times H^1(\Omega ) \to \real \) definiert durch
\(a(u, v) := \int _\Omega ((A\nabla u) \nabla v - (b \nabla v) u + cuv) \dx \) und
die zugehörige Linearform \(\ell \colon H^1(\Omega ) \to \real \) durch \(\ell (v) := \int _\Omega fv \dx \).

Bemerkung: Die hier betrachtete PDE stellt eine nur unwesentliche Modifikation der Differentialoperatoren \(-A \circ (\nabla \nabla ^\tp u) + b \nabla u + cu\) aus dem letzten Kapitel dar.

Satz (Stetigkeit/Koerzivität für \(b = 0\), \(c = 0\)):
Wenn \(A\) gleichmäßig elliptisch ist (d. h. \(\exists _{\widetilde {\alpha } > 0} \forall _{x \in \Omega } \forall _{z \in \real ^d}\; z^\tp A(x) z \ge \widetilde {\alpha } \norm {z}^2\)) und
gleichmäßig beschränkt (d. h. \(\exists _{C > 0} \forall _{x \in \Omega }\; \norm {A(x)} \le C\) für irgendeine induzierte Matrixnorm),
dann \(a\) von eben für \(b = 0\) und \(c = 0\) stetig auf \(H^1(\Omega )\) und koerziv auf \(H^1_0(\Omega )\).

Bemerkung: \(a\) ist nicht koerziv auf \(H^1(\Omega )\), weil \(a(u, u) = 0\) für \(u \equiv \text {const}\).
\(a\) ist natürlich auch stetig und koerziv auf Teilräumen von \(H^1_0(\Omega )\) (z. B. \(H^1_0(\Omega )\) selbst).
Ist \(A\) symmetrisch, so auch \(a\) (für \(b = 0\) und \(c = 0\)).
Eine ähnliche Aussage wie der Satz von eben gilt für \(b \not = 0\) und \(c > 0\) genügend groß.
Die rechte Seite \(\ell (v) = \int _\Omega fv \dx \) ist stetig auf \(H^1(\Omega )\), weil \(|\ell (v)| \le \norm {f}_{L^2} \norm {v}_{L^2} \le \norm {f}_{L^2} \norm {v}_{H^1}\). Für \(v \in H^1_0(\Omega )\) sind sogar allgemeinere \(f\) möglich (manche \(f \notin L^2\) erlaubt, solange \(\ell \in (H^1_0)’\)).

Energie-Skalarprodukt:  Sei \(a\colon V \times V \to \real \) eine koerzive Bilinearform.
Dann heißt der symm. Anteil \(\innerproduct {u, v}_a := \frac {1}{2} (a(u,v) + a(v,u))\) Energie-Skalarprodukt von \(a\).

Bemerkung: \(\innerproduct {\cdot , \cdot }_a\) ist ein Skalarprodukt mit induzierter Energienorm \(\norm {u}_a := \sqrt {\innerproduct {u, u}_a}\).

schwache Lösung:  Seien eine Bilinear- und eine Linearform für ell. PDE gegeben. \(u \in H^1_0(\Omega )\) heißt schwache Lösung der PDE mit Dirichlet-Nullrandwerten, falls \(\forall _{v \in H^1_0(\Omega )}\; a(u,v) = \ell (v)\).

Satz (kl. Lsg. als schw. Lsg.): Sei \(u \in \C ^2(\Omega ) \cap \C ^0(\overline {\Omega })\) klassische Lösung der PDE mit Dirichlet-Nullrandwerten und rechter Seite \(f \in \C ^0(\Omega )\). Dann ist \(u\) auch schwache Lösung.

Orthogonale Projektion und Rieszscher Darstellungssatz

Bemerkung: Für die Existenz und Eindeutigkeit von schwachen Lösungen benötigt man zwei Hilfssätze.

Satz (orthogonale Projektion):
Seien \(V\) ein Hilbertraum und \(W \le V\) ein abgeschlossener Unterraum.
Dann gibt es genau eine Abb. \(P\colon V \to W\) mit \(\forall _{v \in V} \forall _{w \in W}\; \innerproduct {v - Pv, w} = 0\) (d. h. \(v - Pv \in W^\bot \)).
\(P\) ist ein linearer, stetiger Operator und heißt orthogonale Projektion auf \(W\).

Satz (Rieszscher Darstellungssatz):
Seien \(V\) ein Hilbertraum und \(J\colon V \to V’\), \((Jv)(w) := \innerproduct {v, w}\).
Dann ist \(J\) eine lineare, stetige, bijektive Isometrie. Insbesondere existiert zu jedem \(\ell \in V’\) ein eindeutiger Riesz-Repräsentant \(v_\ell := J^{-1}(\ell ) \in V\) mit \(\ell (\cdot ) = \innerproduct {v_\ell , \cdot }\).

Existenz und Eindeutigkeit für das Poisson-Problem

Satz (Existenz und Eindeutigkeit für das Poisson-Problem): Betrachte die schwache Form der Poisson-Gleichung \(-\Delta u = f\) in \(\Omega \) mit Dirichlet-Nullrandwerten \(u = 0\) auf \(\partial \Omega \), d. h.
\(a(u, v) := \int _\Omega \nabla u \cdot \nabla v \dx \), \(\ell (v) := \int _\Omega fv \dx \) für \(u, v \in H^1_0(\Omega )\) (setze \(A(x) :\equiv I_d\), \(b :\equiv 0\), \(c :\equiv 0\)).
Dann gibt es für alle \(f \in L^2(\Omega )\) genau eine schw. Lsg. \(u \in H^1_0(\Omega )\). Es gilt \(|u|_{H^1(\Omega )} = \norm {\ell }_{H^{-1}(\Omega )}\).

Bemerkung: Die Riesz-Inverse \(J^{-1}\) ist nach dem Beweis der Lösungsoperator für das Poisson-Problem mit Dirichlet-Nullrandwerten, d. h. \([\forall _{v \in H^1_0(\Omega )}\; a(u, v) = \ell (v)] \iff u = J^{-1}(\ell )\), und \(J^{-1}\) ist stetig mit Norm \(1\) (da Isometrie).

Bemerkung: \(|u|_{H^1(\Omega )} = \norm {\ell }_{H^{-1}(\Omega )}\) gilt nur, falls \(H^1_0(\Omega )\), \(H^{-1}(\Omega )\) mit der Energienorm (hier \(H^1\)-Seminorm) und der induzierten Norm versehen werden (d. h. \(\norm {v}_{H^1_0} := |v|_{H^1}\) und
\(\norm {\ell }_{H^1} := \sup _{v \in H^1_0 \setminus \{0\}} \frac {|\ell (v)|}{|v|_{H^1}}\)). Wenn man stattdessen \(H^1_0(\Omega )\) und \(H^{-1}(\Omega )\) mit den Standardnormen versieht (d. h. \(\norm {v}_{H^1_0} := \norm {v}_{H^1}\) und \(\norm {\ell }_{H^1} := \sup _{v \in H^1_0 \setminus \{0\}} \frac {|\ell (v)|}{\norm {v}_{H^1}}\)), so gilt wegen Normäquivalenz \(\exists _{c, C > 0}\; c \norm {\ell }_{H^{-1}} \le \norm {u}_{H^1_0} \le C \norm {\ell }_{H^{-1}}\).

Existenz und Eindeutigkeit für das allg. ell. Problem

Bemerkung: Für die Existenz und Eindeutigkeit von schwachen Lösungen für allgemeine elliptische Probleme benötigt man folgenden Satz.

Satz (Lax-Milgram): Seien \(V\) ein Hilbertraum und \(a \colon V \times V \to \real \) eine stetige, koerzive Bilinearform mit Koerzivitätskonstante \(\alpha > 0\).
Dann gibt es genau eine Abbildung \(\A \colon V \to V\) mit \(\forall _{u, v \in V}\; a(u, v) = \innerproduct {\A u, v}\).
Dabei ist \(\A \) linear, stetig und bijektiv sowie \(\A ^{-1}\) ebenfalls stetig mit \(\norm {\A ^{-1}} \le \frac {1}{\alpha }\).

Satz (Existenz und Eindeutigkeit für das allg. ell. Problem):
Betrachte die schwache Form einer allg. ell. PDE mit Dirichlet-Nullrandwerten, d. h.
\(a(u, v) := \int _\Omega ((A\nabla v) \nabla u - (b \nabla v) u + cuv) \dx \) und \(\ell (v) := \int _\Omega fv \dx \) für \(u, v \in H^1_0(\Omega )\).
Seien \(A\) glm. elliptisch, \(A\), \(b\), \(c\) glm. beschränkt und \(c \ge 0\) so groß, dass \(a(u, v)\) koerziv auf \(H^1_0(\Omega )\) mit Koerzivitätskonstante \(\alpha > 0\) ist.
Dann gibt es für alle \(f \in L^2(\Omega )\) genau eine schw. Lsg. \(u \in H^1_0(\Omega )\).
Es gilt \(\norm {u}_{H^1(\Omega )} \le \frac {1}{\alpha } \norm {\ell }_{H^{-1}(\Omega )}\).

Eigenschaften der Lösung

Satz (stetige Abhängigkeit von der rechten Seite):
Seien \(u, \overline {u} \in H^1_0(\Omega )\) schwache Lösungen derselben allg. ell. PDE mit Dirichlet-Nullrandwerten zu rechten Seiten \(\ell , \overline {\ell } \in H^{-1}(\Omega )\). Dann gilt \(\norm {u - \overline {u}}_{H^1(\Omega )} \le \frac {1}{\alpha } \norm {\ell - \overline {\ell }}_{H^{-1}(\Omega )}\).

Satz (schwache Form als Minimierungsproblem): Seien \(V\) ein Hilbertraum, \(a\colon V \times V \to \real \) eine stetige, koerzive und symmetrische Bilinearform, \(\ell \in V’\) und \(u \in V\).
Dann gilt \(\forall _{v \in V}\; a(u, v) = \ell (v)\) genau dann, wenn \(u = \argmin _{v \in V} (\frac {1}{2} a(v, v) - \ell (v))\).

Bemerkung: Für \(a\) nicht-symmetrisch gibt es i. A. keine solche Interpretation.
Aus dem Satz wird noch einmal klar, dass die Vollständigkeit von \(V\) wesentlich für die Existenz eines Minimierers ist – über \(\C ^1_0(\overline {\Omega })\) wird i. A. kein Minimierer existieren.

Verallgemeinerte Randbedingungen

Bemerkung: Es kann auch Existenz und Eindeutigkeit für andere Randbedingungen bewiesen werden.

  • inhomogene Dirichlet-Randbedingungen: \(-\Delta u = f\) in \(\Omega \), \(u = g\) auf \(\partial \Omega \)

    Sei \(g\) derart, dass ein \(\overline {g} \in \C ^2(\Omega ) \cap \C ^0(\overline {\Omega })\) existiert mit \(\overline {g}|_{\partial \Omega } = g\). Dann löst \(u\) die PDE genau dann, wenn \(\overline {u} := u - g\) die PDE \(-\Delta \overline {u} = f + \Delta \overline {g}\) in \(\Omega \) und \(\overline {u} = 0\) auf \(\partial \Omega \) löst.
    Ein Lösungsansatz besteht nun darin, zunächst die schwache Lösung \(\overline {u}\) der homogenen PDE zu bestimmen und dann \(u := \overline {u} + g\) zu setzen.

  • gemischte Dirichlet-/Neumann-Randbedingungen:
    \(-\Delta u = f\) in \(\Omega \), \(u = 0\) auf \(\Gamma _D\), \(\nabla u \cdot n = g_N\) auf \(\Gamma _N\), wobei \(\partial \Omega = \Gamma _D \dcup \Gamma _N\) mit nicht-verschwindendem \((d-1)\)-dimensionalem Maß von \(\Gamma _D, \Gamma _N \subset \partial \Omega \)

    Betrachte den Lösungs-/Testraum \(V := H^1_{\Gamma _D}(\Omega ) := \{v \in H^1(\Omega ) \;|\; v|_{\Gamma _D} = 0\}\), d. h. \(H^1_0(\Omega ) \le V \le H^1(\Omega )\) (dabei ist „\(v|_{\Gamma _D} = 0\)“ im Sinne des Spuroperators zu sehen). Durch Multiplikation der PDE mit \(v \in H^1_{\Gamma _D}(\Omega )\), Integration und partieller Integration erhält man \(\int _\Omega fv \dx = \int _\Omega \nabla u \cdot \nabla v \dx - \int _{\partial \Omega } (\nabla u \cdot n) v \dsigma (x) = \int _\Omega \nabla u \cdot \nabla v \dx - \int _{\Gamma _N} g_N v \dsigma (x)\).
    Damit erhält man die schwache Form der PDE: Finde \(u \in H^1_{\Gamma _D}(\Omega )\) mit
    \(\forall _{v \in H^1_{\Gamma _D}(\Omega )}\; \int _\Omega \nabla u \cdot \nabla v \dx = \int _\Omega fv \dx + \int _{\Gamma _N} g_N v \dsigma (x)\).

    Die Dirichlet-RBen werden also in der Konstruktion von \(V\) berücksichtigt und heißen deswegen wesentliche RBen. Die Neumann-RBen werden dagegen über Zusatzterme in der schwachen Form berücksichtigt und heißen natürliche RBen.

Regularität

Bemerkung: Für allg. ell. PDEs existiert genau eine schwache Lösung \(u \in H^1_0(\Omega )\) für \(a\) stetig und koerziv. Unter welchen Bedingungen ist \(u \in H^m(\Omega )\) für \(m > 1\) (oder sogar \(u \in \C ^\infty (\overline {\Omega })\))?

\(H^s\)-Regularität:  Sei \(H^1_0(\Omega ) \le V \le H^1(\Omega )\).
Eine PDE in schwacher Form \(\forall _{v \in V}\; a(u, v) = \innerproduct {f, v}_{L^2(\Omega )}\) mit \(a\) koerziv auf \(V\) heißt \(H^s\)-regulär, falls es ein \(C_R > 0\) gibt, sodass es für alle \(f \in H^{s-2}(\Omega )\) eine schwache Lösung \(u \in H^s(\Omega )\) gibt mit \(\norm {u}_{H^s(\Omega )} \le C_R \norm {f}_{H^{s-2}(\Omega )}\).

Bemerkung: Aus dem Existenz-/Eindeutigkeitssatz folgt \(H^1\)-Regularität für allg. ell. PDEs.

Beispiel: Für \(d = 2\) und \(\Omega := \{x \in \real ^2 \;|\; 1 < \norm {x} < 2\}\) ist \(u(x) := \ln \norm {x}\) eine klassische Lösung des inhomogenen RWPs \(-\Delta u = 0\) in \(\Omega \), \(u = 0\) auf \(\partial B_1(0)\) und \(u = \ln 2\) auf \(\partial B_2(0)\), wobei \(u \in \C ^\infty (\overline {\Omega })\), d. h. \(u\) ist auch eine schwache Lsg. mit \(u \in H^\infty (\Omega )\) (wegen Beschränktheit von \(\Omega \)) und man erhält \(H^\infty \)-Regularität.

Beispiel: Seien \(\alpha \in (0, 2)\) und \(\Omega := \{(r\cos \varphi , r\sin \varphi ) \;|\; r \in (0, 1),\; \varphi \in (0, \alpha \pi )\}\) mit Randsegmenten \(\Gamma _1\), \(\Gamma _2\) und \(\Gamma _3\) (\(\Gamma _2\) Kreisbogen). Dann ist \(u(x) := \norm {x}^{1/\alpha } \sin (\frac {\varphi (x)}{\alpha })\) mit \(\varphi (x) := \arctan (\frac {x_2}{x_1})\) eine klassische Lösung von \(-\Delta u = 0\) in \(\Omega \), \(u(x) = \sin (\frac {\varphi (x)}{\alpha })\) auf \(\Gamma _2\) und \(u(x) = 0\) auf \(\Gamma _1 \cup \Gamma _3\), also auch eine schwache Lösung. Man kann aber zeigen, dass \(u \in H^2(\Omega ) \iff \alpha \le 1\), die Regularität hängt also auch von der Geometrie ab.

Satz (Satz von Friedrichs): Seien \(\Omega \subset \real ^d\) offen und beschränkt mit glattem Rand (mindestens \(\C ^2\)) oder ein konvexes Lipschitz-Gebiet.
Dann ist das Poisson-RWP mit Dirichlet-Nullrandwerten \(H^2\)-regulär.

Bemerkung: Eine Verallg. folgert für \(\C ^{s-2}\)-berandete Gebiete und \(f \in H^{s-2}(\Omega )\), dass \(u \in H^s(\Omega )\).