Klassische und milde Lösung

abstraktes Cauchyproblem: 
Seien \(X\) ein Banachraum, \((A, D(A))\) ein linearer Operator auf \(X\) und \(x \in X\).
Dann heißt (ACP) mit \(u’(t) = Au(t)\) für \(t \ge 0\) und \(u(0) = x\) mit \(u\colon [0, \infty ) \to X\) abstraktes Cauchyproblem mit Operator \(A\) und Anfangswert \(x\).

klassische Lösung:  Eine Funktion \(u \in \C ^1([0, \infty ), X)\) heißt klassische Lösung von (ACP), falls \(u\) (ACP) für alle \(t \ge 0\) löst.

milde Lösung:  Eine Funktion \(u \in \C ^0([0, \infty ), X)\) heißt milde Lösung von (ACP), falls
\(\forall _{t \ge 0}\; \int _0^t u(s)\ds \in D(A)\) und \(u(t) = x + A\int _0^t u(s)\ds \).

Bemerkung: Ist \(u\) eine klassische Lösung, so gilt notwendigerweise \(\forall _{t \ge 0}\; u(t) \in D(A)\), d. h. insbesondere gilt \(x \in D(A)\). Jede klassische Lösung ist für \(A\) abg. auch eine milde Lösung.

Satz (Lösung für \(A\) Erzeuger einer \(\C _0\)-HG):
Seien \((A, D(A))\) der Erzeuger einer \(\C _0\)-Halbgruppe \((T(t))_{t \ge 0}\) und \(x \in X\).
Dann ist \(u\colon [0, \infty ) \to X\), \(u(t) := T(t) x\) die eind. milde Lsg. von (ACP) mit Op. \(A\) und AW \(x\).
\(u\) ist die eindeutige klassische Lösung von (ACP) genau dann, wenn \(x \in D(A)\).

Wohlgestellte Cauchyprobleme

wohlgestellt:  Sei \((A, D(A))\) ein abgeschlossener, linearer Operator.
Dann heißt (ACP) wohlgestellt, falls

  • \(A\) dicht definiert ist,

  • (ACP) die Existenz- und Eindeutigkeitsbedingung (EU) erfüllt, d. h. für alle \(x \in D(A)\) gibt es eine eindeutige klassische Lösung \(u(\cdot , x)\) von (ACP) zum Anfwangswert \(x\), sowie

  • die Lösung von (ACP) stetig von den Anfangsdaten abhängt, d. h.
    \(\forall _{\text {$(x_n)_{n \in \natural }$ Folge in $D(A)$ mit $x_n \to 0$}}\; [\text {$u(t, x_n) \xrightarrow {n \to \infty } 0$ glm. auf kompakten $t$-Intervallen}]\).

Satz (Charakterisierung von Erzeugern von \(\C _0\)-HG):
Sei \((A, D(A))\) ein abgeschlossener, linearer Operator. Dann sind äquivalent:

  • (ACP) ist wohlgestellt.

  • (ACP) erfüllt (EU) und es gilt \(\varrho (A) \not = \emptyset \).

  • \(A\) erzeugt eine \(\C _0\)-Halbgruppe.

\(A\)-Norm:  Sei \(A\colon D(A) \to X\) ein linearer Operator.
Dann ist \(\norm {\cdot }_A\) mit \(\norm {x}_A := \norm {x}_X + \norm {Ax}_X\) für \(x \in D(A)\) die \(A\)-Norm auf \(D(A)\).

Lemma (Gen): Seien \((T(t))_{t \ge 0}\) eine \(\C _0\)-Halbgruppe auf \(X\) mit Erzeuger \((A, D(A))\) und
\(Y \subset D(A)\) ein Unterraum mit \(\overline {Y}^{\norm {\cdot }_X} = X\) und \(\forall _{t \ge 0}\; T(t)Y \subset Y\).
Dann gilt \(\overline {Y}^{\norm {\cdot }_A} = D(A)\). In diesem Fall heißt \(Y\) Gen von \((A, D(A))\).

Lemma (Fortsetzung abg. Operatoren): Seien \((A, D(A))\) und \((B, D(B))\) abgeschlossene, lineare Operatoren mit \(B\) Fortsetzung von \(A\) auf \(D(B)\) (d. h. \(D(A) \subset D(B)\) und \(B|_{D(A)} = A\)), wobei \(\overline {D(A)}^{\norm {\cdot }_B} = D(B)\). Dann gilt \(D(A) = D(B)\) und \(A = B\).

Inhomogene abstrakte Cauchyprobleme

inhomogenes abstraktes Cauchyproblem: 
Seien \(X\) ein Banachraum, \((A, D(A))\) ein linearer Operator auf \(X\) und \(x \in X\).
Außerdem seien \(T \in \real ^+ \cup \{\infty \}\) und \(f\colon [0, T) \to X\) eine Funktion.
Dann heißt \(\text {(ACP)}_f\) mit \(u’(t) = Au(t) + f(t)\) für \(t \in [0, T)\) und \(u(0) = x\) mit \(u\colon [0, T) \to X\) inhomogenes abstraktes Cauchyproblem mit Operator \(A\), rechter Seite \(f\) und Anfangswert \(x\).

klassische Lösung:  Eine Funktion \(u \in \C ^1([0, T), X)\) heißt klassische Lösung von \(\text {(ACP)}_f\), falls \(u\) \(\text {(ACP)}_f\) für alle \(t \in [0, T)\) löst.

milde Lösung:  Sei \((A, D(A))\) der Erzeuger einer \(\C _0\)-Halbgruppe \((T(t))_{t \ge 0}\) auf \(X\).
Eine Funktion \(u \in \C ^0([0, T), X)\) heißt milde Lösung von \(\text {(ACP)}_f\) mit Operator \(A\), falls
\(\forall _{t \in [0, T)}\; u(t) = T(t)x + \int _0^t T(t-s) f(s)\ds \).

Bemerkung: Ist \(u\) eine klassische Lösung, so gilt notwendigerweise \(\forall _{t \in [0, T)}\; u(t) \in D(A)\), d. h. insbesondere gilt \(x \in D(A)\).

Bemerkung: Die Formel für die milde Lösung heißt auch Variation-der-Konstanten-Formel. Formal kann man sie folgendermaßen herleiten: Setze \(u(t) := T(t) v(t)\).
Dann ist \(u’(t) = AT(t)v(t) + T(t)v’(t) \overset {!}{=} AT(t)v(t) + f(t)\). Unter der Annahme, dass \(T(s)^{-1}\) existiert, ist obige Gleichung äquivalent zu \(v(t) = v(0) + \int _0^t T(s)^{-1} f(s)\ds \), d. h.
\(u(t) = T(t) v(0) + \int _0^t T(t - s) f(s)\ds \).

Inhomogenes Problem für stetige rechte Seiten

Bemerkung: Seien \(f \in \C ^0([0, T), X)\), \(u\) eine klassische Lösung von \(\text {(ACP)}_f\) und \(t \in [0, T)\).
Setze \(v(s) := T(t - s) u(s)\) für \(s \in [0, t)\).
Dann gilt \(\frac {d}{ds} v(s) = -AT(t - s) u(s) + T(t - s) Au(s) + T(t - s) f(s) = T(t - s) f(s)\).
Da \(f\) stetig ist, ist auch \(s \mapsto T(t - s) f(s)\) stetig und somit erhält man
\(\int _0^t T(t - s) f(s) \ds = v(t) - v(0)\) und wegen \(v(0) = T(t)u(0) = T(t)x\) und \(v(t) = u(t)\) somit
\(T(t)x + \int _0^t T(t - s) f(s) \ds = u(t)\).

Daher gilt für \(f \in \C ^0([0, T), X)\):

  • Jede klassische Lösung von \(\text {(ACP)}_f\) ist eine milde Lösung.

  • \(\text {(ACP)}_f\) besitzt für jedes \(x \in X\) eine eindeutige milde Lösung (nach Definition).

Lemma (milde Lsg. als klassische Lsg.): Seien \((A, D(A))\) der Erzeuger einer \(\C _0\)-Halbgruppe \((T(t))_{t \ge 0}\), \(f \in \C ^0([0, T), X)\) und \(u\) eine milde Lösung von \(\text {(ACP)}_f\) mit
\(u \in \C ^0([0, T), D(A)) \cap \C ^1([0, T), X)\).
Dann ist \(u\) eine klassische Lösung von \(\text {(ACP)}_f\).

Satz (Charakterisierung der eind. klassischen Lösbarkeit): Seien \((A, D(A))\) der Erzeuger einer \(\C _0\)-Halbgruppe \((T(t))_{t \ge 0}\), \(f \in \C ^0([0, T), X)\) und \(g(t) := \int _0^t T(t-s)f(s)\ds \) für \(t \in [0, T)\).
Dann sind äquivalent:

  • Für alle \(x \in D(A)\) gibt es eine eindeutige klassische Lösung von \(\text {(ACP)}_f\) zum AW \(x\).

  • \(g \in \C ^1([0, T), X)\)

  • \(g \in \C ^0([0, T), (D(A), \norm {\cdot }_A))\)

Bemerkung: (3) ist äquivalent zu \(\Bild (g) \subset D(A)\) und \(Ag \in \C ^0([0, T), X)\).

Folgerung: Sei \(A\) wie eben. Ist \(f \in \C ^1([0, T), X)\) oder \(f \in \C ^0([0, T), (D(A), \norm {\cdot }_A))\), dann besitzt \(\text {(ACP)}_f\) für alle \(x \in D(A)\) eine eindeutige klassische Lösung.

Bemerkung: Gilt nur \(f \in \C ^0([0, T), X)\), dann besitzt \(\text {(ACP)}_f\) i. A. nicht für alle \(x \in D(A)\) eine klassische Lösung.

Satz (Hölder-stetige rechte Seiten): Seien \((A, D(A))\) der Erzeuger einer analytischen Halbgruppe, \(f \in \C ^{0,\alpha }([0, T], X)\) mit \(\alpha \in (0, 1]\) und \(u\) die milde Lösung von \(\text {(ACP)}_f\). Dann gilt:

  • Für alle \(x \in D(A)\) ist \(u\) die eindeutige klassische Lösung von \(\text {(ACP)}_f\) zum AW \(x\).

  • Für alle \(\delta > 0\) ist \(Au, \frac {d}{dt} u \in \C ^{0,\alpha }([\delta , T], X)\).

  • Es gilt \(Au, \frac {d}{dt} u \in \C ^0([0, T), X)\).

Viskose Burgersgleichung

Bemerkung: Im Folgenden wird die Theorie der abstrakten Cauchyprobleme zur Lösung nicht-linearer Anfangswertprobleme angewendet. Als Beispiel wird dafür die sog. viskose Burgersgleichung betrachtet. Diese Gleichung ähnelt der Wärmeleitungsgleichung (bis auf den quadratischen Term) und kann z. B. zur Modellierung von Verkehrsflüssen verwendet werden.

viskose Burgersgleichung:  Die viskose Burgersgleichung ist gegeben durch
\(\partial _t u = \partial _x^2 u - \frac {1}{2} \partial _x (u^2)\) für \(x \in \real \) und \(t \ge 0\) sowie \(u(x, 0) = u_0(x)\) für \(x \in \real \).

milde Lösung:  Sei \(X := \C ^0_\unif (\real )\). Eine Funktion \(u \in \C ^0([0, T_0], X)\) heißt milde Lösung der viskosen Burgersgleichung in \(X\) zum AW \(u_0 \in X\), falls \(u(t) = T(t)u_0 + \int _0^t T(t - \tau ) N(u)(\tau ) \d \tau \), wobei \((T(t)u_0)(x) := (4\pi t)^{-1/2} \int _\real e^{-(x-y)^2/(4t)} u_0(y)\dy \) und \(N(u) := -\frac {1}{2} \partial _x (u^2)\).

Bemerkung: \(T(t)\) ist der Lösungsoperator der Wärmeleitungsgleichung auf \(\real \) bzw. die eindimensionale Wärmeleitungshalbgruppe.

Satz (eindeutige Existenz der milden Lösung): Sei \(C_0 > 0\).
Dann gibt es ein \(T_0 > 0\), sodass für alle \(u_0 \in X\) mit \(\norm {u_0}_{\C ^0} \le C_0\) eine eindeutige milde Lösung \(u \in \C ^0([0, T_0], X)\) der viskosen Burgersgleichung zum AW \(u_0\) existiert.

Bemerkung: Da \(T(t)\) für alle \(t > 0\) glättend ist und \(N(u)\) keine höheren Ableitungen als \(\partial _x\) enthält, kann man zeigen, dass die milde Lösung, deren Existenz eben behauptet wurde, auch eine klassische Lösung ist, wenn \(u_0 \in \C ^2_\unif \). Da jede klassische Lösung auch eine milde Lösung ist, folgt die lokale Existenz und Eindeutigkeit von klassischen Lösungen der viskosen Burgersgleichung.

Mithilfe von Maximumsprinzip-Argumenten kann man auch die globale Existenz zeigen (d. h. für alle Zeiten). Dabei wird das im Beweis verwendete Fixpunktargument iterativ angewendet, ohne dass sich die Länge des zulässigen Zeitintervalls ändert.

Die Beweisstrategie funktioniert allgemeiner für Gleichungen der Form \(\partial _t u = \partial _x^2 u + f(u, \partial _x u)\) mit \(f\) glatt, nicht aber für Gleichungen der Form \(\partial _t u = \partial _x^2 u + f(u, \partial _x u, \partial _x^2 u)\), weil dann im Integral ein Faktor \((1 + (t - \tau )^{-1})\) vorkommt.