Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

Bemerkung: Die Aufgabe in diesem Abschnitt ist es, geometrische Konstruktionen durch Körpererweiterungen zu modellieren. Gegeben ist dabei eine Menge von „Startpunkten“ MR2=C, ein Lineal (ohne Markierungen) und ein Zirkel.
Das Ziel ist der Beweis der Unlösbarkeit von klassischen Problemen wie der Würfelverdopplung und der Winkeldreiteilung. Die Würfelverdopplung findet zwar im Dreidimensionalen statt, auf dort lassen sich die hier vorgestellten Aussagen jedoch leicht übertragen (beispielsweise ist es im Zweidimensionalen nicht möglich, die Kante eines verdoppelten Würfels zu konstruieren).

Gerade:  Seien MR2 und p,qM mit pq.
Dann bezeichnet pq die Gerade durch p und q.

Kreis:  Seien MR2 und p,q1,q2M mit q1q2.
Dann bezeichnet K(p,ϱ) mit ϱ:=|q1q2| den Kreis um p mit Radius ϱ.

elementare Konstruktion:  Sei MR2.
Eine elementare Konstruktion aus M ist eine der folgenden Konstruktionen:

  • Schnitt von zwei Geraden:
    Seien p1,p2,q1,q2M, mit p1p2, q1q2 und (p1p2)(q1q2).
    Dann ist der Schnittpunkt p^:=(p1p2)(q1q2) konstruiert (falls er existiert).

  • Schnitt einer Geraden mit einem Kreis:
    Seien p1,p2,q,q1,q2M, mit p1p2 und q1q2.
    Dann sind die Schnittpunkte {r^,s^}:=(p1p2)K(q,|q1q2|) konstruiert.

  • Schnitt von zwei Kreisen:
    Seien p,p1,p2,q,q1,q2M, mit p1p2 und q1q2.
    Dann sind die Schnittpunkte {r^,s^}:=K(p,|p1p2|)K(q,|q1q2|) konstruiert.

konstruierbare Punkte:  Sei MR2=C. Ein Punkt p=(x,y)C heißt aus M (mit Zirkel und Lineal) konstruierbar, falls es ein nN und M=M0M1Mn gibt mit pMn, sodass jedes Mi aus Mi1 durch eine elementare Konstruktion entsteht.
Die Menge Kon(M):={pR2|p aus M konstruierbar} ist die Menge aller aus M
konstruierbaren Punkte.

Bemerkung: Im Folgenden wird angenommen, dass M stets zwei Punkte enthält,
nämlich 0:=(0,0) und 1:=(1,0).

Theorem (Kon(M) als Erweiterungskörper): Seien MC mit 0,1M. Dann gilt:

  • Kon(M) ist ein Teilkörper von C.

  • Kon(M)=Kon(M)¯:={z¯|zKon(M)}

  • Q(MM¯) ist ein Teilkörper von Kon(M).

  • Für bC gilt: Falls b2Kon(M) ist, so ist auch bKon(M)
    (d. h. Kon(M) ist quadratisch abgeschlossen).

Bemerkung: Man kann also mit Zirkel und Lineal addieren, subtrahieren, multiplizieren, dividieren und Quadratwurzeln ziehen. Kon(Q) ist echt kleiner als C, hat aber unendlichen Grad über Q, da 2,24,28,Kon(Q) linear unabhängig sind.

Theorem (Körpererweiterung Kon(M)/Q(MM¯)): Seien MC und 0,1M. Dann gilt:

  • Kon(M)/Q(MM¯) ist algebraisch.

  • Für zC gilt zKon(M) genau dann, wenn es eine Kette von Körperweiterungen Q(MM¯)=L0L1Lr gibt mit zLr und j=1,,r[Lj:Lj1]2.
    Für zKon(M) ist also [L0(z):L0] eine Potenz von 2.

Bemerkung: Ist also [L0(z):L0] keine Potenz von 2, so ist z nicht konstruierbar
(z. B. für M={0,1} ist L0=Q).

Unmöglichkeit bestimmter geometrischer Konstruktionen

Bemerkung: Die bisher entwickelte Theorie lässt sich nun für Unmöglichkeitsbeweise von geometrischen Konstruktionen verwenden:

  • Würfelverdopplung (Delisches Problem): Konstruiere die Seitenlänge eines Würfels vom Volumen 2. Aufgrund [Q(23):Q]=3 ist 23 nicht aus 0,1 konstruierbar, d. h. die Aufgabe ist unlösbar.

  • Dreiteilung eines Winkels: Gegeben ist z=eiα, konstruiere eiα/3.
    Wähle α=120=2π3. In diesem Fall ist z=e2πi/3=12+i23 gegeben, gesucht ist ξ=e2πi/9. Es gilt [Q(z):Q]=2 (x2+x+1 Minimalpolynom von x über Q).

    Wenn man zeigt, dass [Q(ξ):Q]=6, dann folgt aufgrund Q(z)Q(z,ξ)=Q(ξ) und
    [Q(ξ):Q]=[Q(ξ):Q(z)][Q(z):Q], dass [Q(ξ):Q(z)]=3, d. h. ξ ist nicht aus z konstruierbar. Es gilt [Q(ξ):Q]6, da das Minimalpolynom von ξ über Q das Polynom x91x31=x6+x3+1 teilen muss. Außerdem gilt 2<[Q(ξ):Q] und 2|[Q(ξ):Q].
    Es bleiben also nur die Möglichkeiten [Q(ξ):Q]=4 und [Q(ξ):Q]=6.

    Nun wird gezeigt, dass [Q(ξ):Q]=6. Ein Q-Automorphismus von Q(ξ) bildet jede Nullstelle von x6+x3+1 wieder auf eine Nullstelle ab, d. h. e2πi/9 wird abgebildet e2πi/9 mit {1,2,4,5,7,8}. Jeder Automorphismus σ:Q(ξ)Q(ξ) ist bestimmt durch σ(ξ)=e2πi/9, d. h. (Z/9Z). Die Zuordnung σ(Z/9Z) definiert einen Gruppenhomomorphismus AutQ(Q(ξ))(Z/9Z), dieser ist injektiv. Somit ist AutQ(Q(ξ)) isomorph zu einer Untergruppe von (Z/9Z), daraus folgt |AutQ(Q(ξ))||6. Q(ξ)/Q ist eine Galoiserweiterung (separabel und normal), also |AutQ(Q(ξ))|=[Q(ξ):Q]|6.

    Somit muss [Q(ξ):Q]=6 gelten und die Winkeldreiteilung ist nicht möglich.

  • Quadratur des Kreises: Gegeben ist der Einheitskreis, gesucht ist ein Quadrat mit derselben Fläche, d. h. man muss π oder π konstruieren. Die Zahlentheorie besagt allerdings, dass π transzendent ist, also nicht konstruierbar. Somit ist die Quadratur des Kreises unmöglich.

  • Konstruktion von regelmäßigen n-Ecken: Es müssen die n-ten Einheitswurzeln ξ=e2πi/n konstruiert werden. Das Minimalpolynom von ξ über Q ist ein Teiler von xn1, sein Grad ist φ(n):=|(Z/nZ)|={j{1,,n}|ggT(j,n)=1} (Eulersche φ-Funktion). Es gilt nun ξ konstruierbar φ(n) ist eine Potenz von 2 n=2p1pr mit paarweise verschiedenen Fermatschen Primzahlen p1,,pr (d. h. eine Primzahl der Form pi=22a+1). Für a=0,1,2,3,4 ist das prim (man erhält 3, 5, 17, 257, 65537), für a=5 gilt allerdings 641|4294967297. Es ist ein ungelöstes Problem, ob weitere Fermatsche Primzahlen existieren (man vermutet, dass dies nicht zutrifft). Somit ist auch die Konstruktion von regelmäßigen n-Ecken für allgemeine n ein ungelöstes Problem.

Polynomiale Gleichungen

Bemerkung: Sei K ein Körper und f(x)K[x] ein Polynom vom Grad n. Gesucht ist eine Formel, die die Nullstellen von f(x) berechnet. Beispielsweise geht dies für n=2 und
f(x)=ax2+bx+c mit der Mitternachtsformel b±b24ac2a für charK2. Für n=3 und f(x)=x3+ax2+bx+c ergeben sich schon kompliziertere Formeln, man formt zunächst um zu x3+px+q und erhält Lösungen wie q2+(p3)3+(q2)23+q2(p3)3+(q2)23 für charK2,3 – hier werden schon verschiedene Wurzeln benötigt.
Im Folgenden wird gezeigt, dass es für n5 keine solche allgemeine Formel gibt, die Lösungen aus den Koeffizienten berechnet (erlaubt sind +,,,/ und beliebige Wurzeln). Dabei reicht es, ein Polynom anzugeben, das eine Nullstelle besitzt, die nicht mit diesen Operationen berechnet werden kann.
Die Strategie ist, Körpererweiterungen K(an)/K zu Galoiserweiterungen zu vergrößern, sodass die Galoisgruppen spezielle Eigenschaften haben. Dann wird ein f(x) angegeben, dessen Zerfällungskörper diese Eigenschaften nicht hat.

Bemerkung: Im Folgenden ist charK=0 (oder sogar K=Q), d. h. Körpererweiterungen sind automatisch separabel.

Radikal:  Seien K ein Körper, nN, aK und E/K eine Körpererweiterung, sodass bn=a für ein bE. Dann heißt b Radikal von a über K (Schreibweise b=an).
b ist eindeutig bis auf Multiplikation mit Einheitswurzeln (1n).

Körpererw. durch Radikale auflösbar:  Eine Körpererweiterung L/K heißt (durch
Radikale) auflösbar
, falls es eine Kette von Körpererweiterungen K=K0=K1K gibt mit N, LK und Kj+1=Kj(bj) mit bj=ajnj für ein ajKj für alle j=0,,1.

Polynom durch Radikale auflösbar:  Ein Polynom f(x)K[x] heißt (durch Radikale) auflösbar, falls es sein Zerfällungskörper L über K durch Radikale auflösbar ist.

Bemerkung: Im Folgenden sei K ein Körper mit QK und Kn der Zerfällungskörper von xn1 über K. Wegen QK haben daher die Einheitswurzeln 1n die Werte e2πij/n für j=0,,n1.

Lemma (Gal(Kn/K) abelsch): Es gibt einen injektiven Grp.homom. Gal(Kn/K)(Z/nZ), d. h. Gal(Kn/K) ist isomorph zu einer Untergruppe von (Z/nZ) und daher abelsch.

Lemma (Gal(K(an)/K) abelsch): Seien e2πi/nK und L:=K(an) für ein aK.
Dann ist L/K eine Galoiserweiterung und Gal(L/K) ist zyklisch mit |Gal(L/K)||n.

Bemerkung: Es gilt auch die Umkehrung: Ist L/K eine endliche Galoiserw. mit Gal(L/K) zyklisch und n:=[L:K], dann ist L der Zerfällungskörper von xna für ein aK.

Bemerkung: Man erhält also in beiden Erweiterungen KK(1n)K(an) abelsche Gruppen. Allerdings geht die Eigenschaft „abelsch“ beim Iterieren verloren, wie folgendes Gegenbeispiel zeigt: Sei K=Q, n=3 und a=2. Dann ist Gal(K(1n)/K)=Gal(Q(e2πi/3)/Q)Z/2Z und Gal(K(an)/K)=Gal(Q(23,e2πi/3)/Q)Σ3. Σ3 ist jedoch nicht abelsch.

Normalreihe:  Sei G eine Gruppe. Eine endliche Kette {1}=G0G1Gn=G von Untergruppen mit GjGj+1 für j=0,,n1 heißt Normalreihe.
Die Normalreihe heißt abelsch, falls Gj+1/Gj für j=0,,n1 abelsch ist.

Gruppe auflösbar: 
Eine Gruppe G heißt auflösbar, falls G eine abelsche Normalreihe besitzt.

Bemerkung: Das Ziel ist zu zeigen, dass ein Polynom durch Radikale auflösbar ist genau dann, wenn sein Zerfällungskörper eine auflösbare Galoisgruppe besitzt. Dann muss man noch zeigen, dass es Galoisgruppen gibt, die nicht auflösbar sind.

Beispiel: Auflösbare Gruppen sind z. B. abelsche Gruppen ({1}G),
Σ3 ({1}(123)Σ3, da [Σ3:(123)]=2, und Σ3/(123) ist zyklisch, da |Σ3/(123)|=2)
und G mit |G|=pn mit p prim und nN0 (für n0 gilt Z(G){e}, Z(G)G mit |G/Z(G)|=p für ein <n, induktiv ist also G auflösbar).

Kommutator:  Seien G eine Gruppe und a,bG.
Dann heißt [a,b]:=aba1b1 der Kommutator von a und b.
Die von allen Kommutatoren erzeugte Untergruppe D(G):=[a,b]|a,bG heißt
Kommutatoruntergruppe (oder derivierte Gruppe) von G.
Mit Dn(G):=D((D(G))) bezeichnet man die iterierte Kommutatoruntergruppe.

Bemerkung: Es gilt [a,b]=1 genau dann, wenn ab=ba. {[a,b]|a,bG} ist i. A. keine Gruppe. Es gilt D(G)G, da g[a,b]g1=gaba1b1g1=(gag1)(gbg1)(ga1g1)(gb1g1) ein Kommutator ist. G ist abelsch genau dann, wenn D(G)={1}.

Bemerkung: Durch iterierte Anwendung der Kommutatoruntergruppe kann man eine Normalreihe G>D(G)>D2(G)> herstellen (die Untergruppen sind alle normal).
G/D(G) ist abelsch, denn für a,bG ist a¯b¯=b¯a¯, da 1¯=[a,b]¯=a¯b¯a¯1b¯1.
Also ist GD(G)D2(G) eine abelsche Normalreihe, falls Dn(G)={1} für ein nN. Allerdings muss diese Bedingung nicht immer erfüllt sein: Ist G einfach, aber nicht abelsch, dann besitzt G keine Normalteiler außer {1} und G. Wegen D(G){1} (G nicht abelsch) und D(G)G gilt also G=D(G) (und D(G)=D2(G)=).
Es kann also passieren, dass diese Reihe stehen bleibt. Im Folgenden wird das ausgenutzt, indem die Aussage getroffen wird, dass dann G nicht auflösbar ist (man muss nur diese „Testreihe“ prüfen).

Proposition (Testreihe der Kommutatoruntergruppen):
Eine Gruppe G ist auflösbar genau dann, wenn Dn(G)={1} für ein nN.

Proposition (Σn für n5 nicht auf lösbar): Sei n5. Dann ist D(Σn)=D(An)=An.
Insbesondere sind Σn und An für n5 nicht auflösbar.
(An<Σn ist die Untergruppe der geraden Permutationen.)

Bemerkung: Man kann zeigen, dass An sogar einfach für n5 ist.

Theorem (Körpererw. auf lösbar Galoisgrp. auf lösbar):
Sei L/K eine endliche Körpererweiterung mit charK=0. Dann gilt (a) (b), wobei:

  • L/K ist durch Radikale auflösbar.

  • Es gibt eine endliche Galoiserweiterung M/K mit ML, sodass Gal(M/K) auflösbar ist.

Bemerkung: Es gilt auch die Umkehrung (b) (a), wobei aber die erwähnte Umkehrung des obigen Lemmas benötigt wird.

Bemerkung: Wie wendet man dieses Theorem bei unbekanntem M an?
Gegeben seien f(x)K[x] und L der Zerfällungskörper von f(x) über K. Aufgrund charK=0 ist L/K separabel, also galoissch.
Angenommen, L/K ist durch Radikale auflösbar. Dann folgt aus dem Hauptsatz der Galoistheorie und obigem Satz, dass Gal(L/K)Gal(M/K)/Gal(M/L).
Ist Gal(M/K) auflösbar, so ist auch Gal(L/K) auflösbar (allgemein gilt: gibt es einen surjektiven Gruppenhomomorphismus GG¯ mit G auflösbar, so ist auch G¯ auflösbar, da aus Dn(G)={e} folgt, dass Dn(G¯)={e¯}, weil [g¯,h¯]=[g,h]¯).
Ist also L/K durch Radikale auflösbar, so muss Gal(L/K) auflösbar sein. Im Umkehrschluss kann eine Gleichung mit nicht auflösbarer Galoisgruppe nicht durch Radikale auflösbar sein.

Proposition (bestimmte Polynome in Q[x] sind nicht auf lösbar): Sei f(x)Q[x] irreduzibel vom Grad 5, sodass f(x) in C genau drei reelle Nullstellen besitzt.
Dann ist die Galoisgruppe von f(x) (d. h. die Galoisgruppe des Zerfällungskörpers von f(x) über Q) nicht auflösbar, insbesondere ist f(x) nicht durch Radikale auflösbar.

Bemerkung: Ein Beispiel für ein solches Polynom ist f(x)=x54x+2Q[x] (irreduzibel nach Eisenstein). Das Polynom f(x)2=x54x=x(x22)(x2+2) hat drei reelle Nullstellen (nämlich 0 und ±2) und zwei komplexe. Um die Frage zu beantworten, ob dies für f(x) auch gilt, können die Extrempunkte bestimmt werden. ddx(f(x)2)=f(x)=5x44=0 gilt für x=±454. Der Wert von f(x)2 für diese x ist größer bzw. kleiner als ±2, d. h. auch f(x) hat 3 reelle und zwei komplexe Nullstellen (der Abstand der Extrempunkte zur x-Achse ist größer als die Verschiebung). Somit ist f(x) nach der Proposition nicht auflösbar und es gibt keine allgemeine Formel für Lösungen polynomialer Gleichungen.

Der Fundamentalsatz der Algebra

Bemerkung: Man kann den Fundamentalsatz der Algebra tatsächlich algebraisch beweisen (zusätzlich z. B. zum naiv-analytischen, zum komplex-analytischen und zum topologischen Beweis). Dazu verwendet man nur ein wenig elementare Analysis:

  • Jedes Polynom f(x)R[x] mit ungeradem Grad besitzt eine reelle Nullstelle.

  • Jede positive reelle Zahl besitzt eine Quadratwurzel (d. h. f(x)=x2 hat das Bild R0).

Die Aussagen folgen beide aus dem Zwischenwertsatz (Vollständigkeit von R).

Theorem (Fundamentalsatz der Algebra):
Der Körper C der komplexen Zahlen ist algebraisch abgeschlossen.