Die Definition der Ableitung

Sei f:XKKn eine Funktion mit X offen, d. h. für einen Punkt x0X ist
ε>0Uε(x0)X. Daraus folgt x0+hX für |h|<ε.
φ(h,x0)= f(x0+h)f(x0)h heißt Differenzenquotient (|h|<ε, h0).

f heißt im Punkt x0X differenzierbar, falls der Grenzwert
limh0φ(h,x0)=:f(x0)=f|x=x0= dfdx|x=x0 existiert.
f heißt differenzierbar in X, falls f in allen Punkten x0X differenzierbar ist.

Für Funktionen f:XCC kann man für x0XR die komplexe bzw. reelle Ableitung (C)f(x0)=limh0,hCf(x0+h)f(x0)h bzw. (R)f(x0)=limh0,hRf|R(x0+h)f|R(x0)h betrachten. Existieren die Grenzwerte, so heißt f komplex bzw. reell differenzierbar.

Satz: Ist f:XCC in x0RX (C)-differenzierbar, so ist sie auch (R)-differenzierbar und (C)f(x0)=(R)f(x0). Die Umkehrung gilt nicht!

Satz: Eine komplexwertige Funktion f:XRC, f=g+ik (g,k:XRR) ist genau dann reell differenzierbar, wenn Real- und Imaginärteil reell differenzierbar sind.

Satz: Ist f:XCR in z0X komplex differenzierbar, so ist (C)f(z0)=0.

Die Landau-Symbole

Seien M ein metrischer Raum, f,g:XMKn sowie x0acc(X).

Landau-Symbole: f=xx0O(g)CRδ>0xXUδ(x0)f(x)Cg(x),
f=xx0o(g)ε>0δ=δ(ε)xXUδ(x0)f(x)εg(x)   (in K ist die Norm der Betrag)

Satz: Sei xx0acc(X).   Dann gilt f=o(g)f=O(g),
f1=O(g)f2=O(g)f1±f2=O(g),   f1=o(g)f2=o(g)f1±f2=o(g) sowie f1=o(g)f2=O(g)f1±f2=O(g).

Satz: Seien f,g:XMKn, γ,ψ:XMK. Dann gilt
ψ=O(γ)f=O(g)ψf=O(γg),   ψ=o(γ)f=O(g)ψf=o(γg) sowie
ψ=O(γ)f=o(g)ψf=o(γg).

Schreibweise: f1f2=O(g)f1=f2+O(g),   f1f2=o(g)f1=f2+o(g)

Anmerkung: Ist f:XKKn und xx0=0, dann ist f(x)=o(x)f(x)=xf~(x) mit f~(x)=o(1)  (bzw. f(x)=O(x)f(x)=xf~(x) mit f~(x)=O(1)).

Anwendungen:

  • f=xx0O(1) f ist in einer geeigneten δ-Umgebung von x0 beschränkt

  • f=xx0o(1) (limxx0f(x)=0)(x0Xf(x0)=0)

  • f(x0+h)=h0f(x0)+o(1) f ist stetig in x0

  • f(x0+h)f(x0)=h0hF+o(h) f ist in x0 differenzierbar und f(x0)=F

Folgerung: Ist f im Punkt x0 differenzierbar, so ist f im Punkt x0 stetig.
Die Umkehrung gilt nicht!

Das Rechnen mit Ableitungen

Seien K{R,C}, XK offen, x0X,  f,f1,f2:XKKn, g:XKK,
f,f1,f2,g im Punkt x0X differenzierbar,
ψ:YKK, Y offen, y0Y mit ψ(y0)=x0, ψ im Punkt y0Y differenzierbar.

Dann ist (f1+f2)|x=x0=f1|x=x0+f2|x=x0,  (αf)|x=x0=α(f|x=x0),
(gf)|x=x0=g|x=x0f(x0)+g(x0)f|x=x0  sowie  (fψ)|y=y0=f|x=x0=ψ(y0)ψ|y=y0.

Folgerung: Seien XK offen, x0X, f,g:XKK, g(x)0 für alle xX,
f,g differenzierbar in x0X.  Dann ist (fg)|x=x0=f(x0)g(x0)f(x0)g(x0)(g(x0))2.

Satz: Seien X,YK offen, x0X, y0Y, f:XY bijektiv mit y0=f(x0),
f1 stetig im Punkt y0 sowie f differenzierbar in x0 mit f(x0)0.
Dann ist f1 in y0 differenzierbar mit (f1)(y0)= 1f(x0).

Ableitungen wichtiger Funktionen

(const.)=0 (z)=1 (zα)=αzα1
(ez)=ez (Lnz)= 1z
(sinz)=cosz (cosz)=sinz (tanz)= 1cos2z (cotz)= 1sin2z
(sinhz)=coshz (coshz)=sinhz (tanhz)= 1cosh2z (cothz)= 1sinh2z
(arcsinz)= 11z2 (arccosz)= 11z2 (arctanz)= 11+z2 (arccotz)= 11+z2
(arsinhz)= 1z2+1 (arcoshz)= 1z21 (artanhz)= 11z2 (arcothz)= 11z2

Die Sätze von Fermat, Rolle, Cauchy und Lagrange

Wir betrachten nun reelle Ableitungen: f:[a,b]R, a<b.

Satz von Fermat: Sei fC([a,b]), c]a,b[ mit f in c diffb. sowie
f(c)=maxx[a,b]f(x) bzw. f(c)=minx[a,b]f(x).   Dann ist f(c)=0.

Satz von Rolle: Sei fC([a,b]), f in ]a,b[ diffb. sowie f(a)=f(b).
Dann gibt es ein c]a,b[, sodass f(c)=0.

Satz von Cauchy: Seien f,gC([a,b]), f,g in ]a,b[ diffb. sowie g(x)0 für alle x]a,b[.
Dann gibt es ein c]a,b[, sodass f(b)f(a)g(b)g(a)=f(c)g(c).

Satz von Lagrange: Sei fC([a,b]) in ]a,b[ diffb.
Dann gibt es ein c]a,b[, sodass f(b)f(a)=(ba)f(c).

Hauptsatz der Differentialrechnung

Sei f:XKKn, mit X offen und ab¯X, wobei ab¯ für a,bX definiert ist als ab¯={xK|x=a+ ba|ba| t,t[0,|ba|]} und ab¯ =ab¯{a,b}.

Hauptsatz der Differentialrechnung: Sei fψ stetig auf [0,|ba|] und differenzierbar für t]0,|ba|[ (d. h. f stetig auf ab¯ und differenzierbar auf ab¯), wobei ψ(t)=a+ ba|ba| t.
Dann ist f(b)f(a)supxab¯f(x)|ba|.

Ableitungen höherer Ordnung

Sei f:XKKn mit X offen. Ist diese Funktion in einer ε-Umgebung von x0X mit Uε(x0)X diffb., so kann die Ableitung als Funktion f:Uε(x0)Kn dargestellt werden.

höhere Ableitungen: Ist f:Uε(x0)Kn im Punkt x0 differenzierbar, so heißt (f)(x0)=: d2fdx2|x=x0=f(x0)=f(2)(x0) die zweite Ableitung von f.
Die Definition kann iterativ fortgesetzt werden: Ist f(m1):Uε(x0)Kn in x0 differenzierbar, so ist analog (f(m1))(x0)=: dmfdxm|x=x0=f(m)(x0) die m-te Ableitung von f.

Schreibweise:
Cm(X,Kn)={f:XKKn|f auf X m-fach differenzierbar,f(m) auf X stetig},
C(X,Kn)={f:XKKn|f beliebig oft auf X differenzierbar}

Satz von Leibniz: Seien f:XKKn und g:XKK (X offen) m-fach diffb. in X.
Dann ist auch (gf) m-fach differenzierbar und (gf)(m)(x0)=k=0m(mk)g(k)(x0)f(mk)(x0) (dabei sei g(0)=g und f(0)=f).

Der Satz von Taylor

Sei f:XKKn (X offen) in x0X m-fach differenzierbar.
Dann ist f(x0+h)=f(x0)+k=1m1k!f(k)(x0)hk+rm(h) mit rm(h)=o(hm) für h0.

Monotonie und Extremwerte von Funktionen

Satz: Sei f:[a,b]Rn stetig auf [a,b] und differenzierbar in ]a,b[.
Dann ist f konstant auf [a,b] genau dann, wenn f(x)=0 für alle x]a,b[ ist.

Folgerung: Seien f,g:[a,b]Rn stetig auf [a,b] und differenzierbar in ]a,b[.
Dann folgt aus f(x)=g(x) für alle x]a,b[, dass f(x)=g(x)+const. ist.

Monotonie von Funktionen: Sei f:[a,b]R.
f(x1<x2f(x1)f(x2)),   f(x1<x2f(x1)<f(x2))

Satz: Sei f:[a,b]R stetig auf [a,b] sowie differenzierbar in ]a,b[.
Dann ist fx]a,b[f(x)0  sowie
f(x]a,b[f(x)0)¬(α,β]a,b[,α<βx[α,β]f(x)=0).

globale Extremwerte: f:XRR nimmt im Punkt cX ein globales Maximum (bzw. Minimum) an, falls f(c)f(x) (bzw. f(c)f(x)) für alle xX.

notwendige Bedingung (globale Extrema) (Satz von Fermat): Seien f:[a,b]R stetig, in ]a,b[ diffb. und c]a,b[ mit f(c)=maxx[a,b]f(x).   Dann ist f(c)=0.

hinreichende Bedingung (globale Extrema): Seien f:[a,b]R stetig, in ]a,b[ diffb. und c]a,b[ mit f(c)=0, wobei f(x)0 für x<c und f(x)0 für x>c (x]a,b[).
Dann ist f(c)=maxx[a,b]f(x).

Folgerung (doppelte Ableitung): Seien f:[a,b]R stetig, in ]a,b[ 2-fach diffb. und c]a,b[ mit f(c)=0 sowie f(x)0 für alle x]a,b[.   Dann ist f(c)=maxx[a,b]f(x).

lokale Extremwerte: f:XRR nimmt im Punkt cX ein lokales Maximum (bzw. Minimum) an, falls ε>0xXUε(c)f(c)f(x) (bzw. f(c)f(x)).

notwendige Bedingung (lokale Extrema): Sei f:[a,b]R stetig, in ]a,b[ diffb. und c]a,b[, wobei f in c einen lokalen Extremwert annimmt.   Dann ist f(c)=0.

hinreichende Bedingung (lokale Extrema): Sei f:[a,b]R stetig, in ]a,b[ diffb. sowie in c]a,b[ 2-fach diffb., wobei f(c)=0 und f(c)<0.
Dann nimmt f in c ein lokales Maximum an.

n-fache Ableitung (Extrema): Sei f:[a,b]R in ]a,b[ n1-fach diffb. sowie in c]a,b[ n-fach diffb., wobei f(c)==f(n1)(c)=0 und f(n)0.
Dann ist, falls n gerade ist, c ein lokales Maximum falls f(n)(c)<0 bzw. ein lokales Minimum falls f(n)(c)>0.   Ist n ungerade, so ist c kein lokaler Extremwert.

Konvexe und konkave Funktionen

Sei f:[a,b]R.

konvexe und konkave Funktionen: f heißt konvex
x1,x2[a,b],x1<x2t[0,1]f(tx1+(1t)x2)tf(x1)+(1t)f(x2).
f heißt konkav f ist konvex.

Äquivalente Definition (Ableitung): Sei f stetig auf [a,b] und differenzierbar in ]a,b[.
Dann ist f konvex f   und   f konkav f.

doppelte Ableitung: Sei f stetig auf [a,b], 2-fach diffb. in ]a,b[ sowie f(x)0 für alle x]a,b[.   Dann ist f konvex.

Wendepunkt: Sei f in ]a,b[ differenzierbar.
c]a,b[ heißt Wendepunkt, falls f(c) ein lokales Extremum ist.

notwendige Bedingung (Wendepunkte): Seien f in ]a,b[ 2-fach diffb. und c]a,b[ ein Wendepunkt.   Dann ist f(c)=0.

n-fache Ableitung (Wendepunkte): Sei f in ]a,b[ n-fach diffb. sowie in c]a,b[ n+1-fach diffb., wobei f(2)(c)==f(n)(c)=0 und f(n+1)(c)0.
Dann ist c ein Wendepunkt, falls n gerade, und kein Wendepunkt, falls c ungerade ist.

Das Auflösen von Unbestimmtheiten vom Typ 0/0 und ∞/∞

Typ 0/0: Seien f,g:[a,b]R (C, Rn, Cn) und x0]a,b[ mit f,g in x0 diffb.,
f(x0)=g(x0)=0 sowie g(x0)0.   Dann existiert der Grenzwert limxx0 f(x)g(x)=f(x0)g(x0).

Verallgemeinerung: Seien f,g:[a,b]R (C) und x0]a,b[ mit f(x0)=g(x0)=0, f(x0)=g(x0)=0, …, f(n1)(x)=g(n1)(x)=0, f(n)(x0), g(n)(x0), wobei g(n)(x0)0. Dann existiert der Grenzwert limxx0 f(x)g(x)=f(n)(x0)g(n)(x0).

Regel von Bernoulli und l’Hôspital: Seien f,g:]a,b[R in ]a,b[ diffb.,
limxaf(x)=limxag(x)=0 und g(x)0 für x]a,b[. Außerdem existiere der Grenzwert limxaf(x)g(x) =:A.   Dann existiert der Grenzwert limxaf(x)g(x) =A.

Dieser Satz gilt nur für reellwertige (nicht für komplexwertige) Funktionen!

Anwendung: bei Funktionen f,g:[b,+[R, b>0, wobei
limx+f(x)=limx+g(x)=0 und A=limx+f(x)g(x). Dann ist limx+f(x)g(x)=A.
(Variablentransformation mit x=1t)

Typ /: Seien f,g:]a,b[R in ]a,b[ diffb., limxaf(x)=, limxag(x)= und es existiere der Grenzwert limxaf(x)g(x) =:A.   Dann existiert der Grenzwert limxaf(x)g(x) =A.

Grenzwerte f(x)g(x) vom Typ =^0=^ f(x)1g(x) kann man auf 0/0 zurückführen. Grenzwerte f(x)g(x) mit 1, 00 oder 0 kann man mit f(x)g(x)=eg(x)lnf(x) auf 0 zurückführen.

Weitere Anwendungen der Differentialrechnung

Tangente: y=f(x0)(xx0)+y0,   Normale: y=1f(x0) (xx0)+y0

Differentiation parametrisch gegebener Kurven: Gegeben seien die differenzierbaren Funktionen ψ:]α,β[]a,b[ sowie f:]a,b[R. Durch x(t)=ψ(t) und y(t)=f(ψ(t)) sei für t]α,β[ eine Kurve gegeben. Dann ist f(x0)= y˙(t0)x˙(t0) für x0=x(t0).

geradlinige Asymptote: g(x)=ax+b ist eine (lokale) geradlinige Asymptote von f(x) für x+ (bzw. x), falls limx+(bzw. )(f(x)g(x))=0.
Dann ist a=limx±f(x)x und b=limx±(f(x)ax).

Der Satz von Darboux

Satz: Seien f:]a,b[R diffb. und x1,x2]a,b[ mit x1<x2, wobei f(x1)f(x2)<0 ist.
Dann gibt es ein x0]x1,x2[, sodass f(x0)=0.

Satz von Darboux: Seien f:]a,b[R diffb. und x1,x2]a,b[ mit x1<x2, wobei f(x1)f(x2). Sei außerdem λR mit f(x1)<λ<f(x2) bzw. f(x2)<λ<f(x1).
Dann gibt es ein x0]x1,x2[, sodass f(x0)=λ.

Satz: Sei f:]a,b[R differenzierbar.  Dann besitzt f keine Unstetigkeit der ersten Art.

Nullstellenberechnung

Gegeben sei eine Funktion f:[a,b]R stetig mit f(a)f(b)<0, f zweimal stetig diffb. und f(x)0, f(x)0 für alle x]a,b[ (d. h. f,f haben konstantes Vorzeichen).

Satz: !ξ]a,b[f(ξ)=0

Regula falsi (Sehnenmethode): Bei der Sehnenmethode versucht man, f durch die Sehne durch (a,f(a)) und (b,f(b)) anzunähern. Deren Gleichung lautet g(x)=f(a)+ f(b)f(a)ba (xa).
Für die Nullstelle x1=a baf(b)f(a) f(a)]a,b[ gilt, dass ξ]x1,b[ bzw. ξ]a,x1[ (wenn f,f die gleichen bzw. unterschiedliche Vorzeichen haben). Nun muss man nur noch in dem Intervall [x1,b] bzw. [a,x1] nach der Nullstelle ξ suchen.

Fehlerabschätzung: Sei x0=a, xn=xn1 bxn1f(b)f(xn1) f(xn1) bzw.
x0=b, xn=xn1 xn1af(xn1)f(a) f(xn1).
Dann ist limnxn=ξ, wobei |xnξ| |f(xn)|minx[a,b]|f(x)|.

Newton-Verfahren (Tangentenmethode): Beim Newton-Verfahren versucht man, die Nullstelle ξ durch Nullstellen der Ableitung zu bestimmen. Für den Fall sgn(f)=sgn(f) gilt für die Tangentengleichung in x0=b, dass g(x)=f(b)+f(b)(xb), deren Nullstelle ist x1=b f(b)f(b). Es gilt x1[a,b]. Analog ist x1=a f(a)f(a) [a,b] für sgn(f)sgn(f) (dann muss die Tangente in x0=a bestimmt werden). Wiederum muss nun nur noch im Intervall [a,x1] bzw. [x1,b] nach der Nullstelle ξ gesucht werden.

Fehlerabschätzung: Sei x0=b bzw. x0=a und xn=xn1 f(xn1)f(xn1).
Dann ist limnxn=ξ, wobei M>0nN|xn+1ξ|M|xnξ|2.